084 - Medusenblick
faßte sich an die Stirn. Etwas wischte über seine Hand, zog sich aber sofort zurück.
Er trat an die Gittertür, umklammerte die Stäbe mit den Händen und schrie: »He, hallo! Ich will raus! Hört mich keiner? Verdammt noch mal, ihr habt kein Recht, mich einzusperren! Ich habe nichts getan! Ich verlange, daß ihr mich auf der Stelle freilaßt!«
Eine Tür wurde geöffnet.
Ein Polizist erschien.
Die Augen des Beamten weiteten sich in namenlosem Entsetzen. »Großer Gott!« stieß er verstört hervor, und dann brüllte er nach Inspektor Bogarde.
***
Die Gorgone, dieses abgrundtief häßliche Weib, schien über Tony Ballard zu schweben. Sie war entstanden aus diesem schützenden Marbu-Grau, das nun nicht mehr existierte. Der Dämonenjäger wurde davon nicht mehr eingehüllt, denn diese Kraft war nötig gewesen, um das schlangenhäuptige Monster zu schaffen.
Ihre grünen, starren Augen lagen in schattigen Höhlen. Ihr Gesicht war alt, häßlich und mit Falten übersät. Krank und abgezehrt sah sie aus - ekel- und furchterregend.
Ein Wesen des absoluten Schreckens.
Ein Meisterwerk von Phorkys!
Die Gorgone lebte. Unentwegt zuckten die Schlangen auf ihrem Kopf, richteten sich auf, krochen übereinander hinweg, verstrickten und entwirrten sich. Pater Severin klappte das Buch zu, aus dem er mit lauter, kräftiger Stimme gelesen hatte. Nun richtete er seinen Blick auf Tony Ballard, um zu sehen, was für eine Wirkung er mit dem Spruch erzielt hatte. Das Grauen überfiel ihn wie ein reißendes Tier, als er nicht Tony Ballard, sondern die Gorgone erblickte. Die grünäugige Vettel verzog ihr Gesicht zu einem gemeinen Grinsen, und als sich ihre Lippen öffneten, schob sich eine gespaltene Schlangenzunge über die Zähne.
Der Blick der Gorgone war schmerzhaft - und bannend!
Glühende Zangen schienen an Pater Severins Nervensträngen zu zerren. Er wollte zurückweichen, doch das ließ das schlangenhäuptige Weib nicht zu.
Aber sie konnte nicht verhindern, daß er blitzschnell nach seinem geweihten Kreuz griff und es ihr entgegenhielt. Sie fauchte zornig und sprang auf.
Jetzt sah Pater Severin seinen Freund wieder. Tony Ballard war immer noch ohne Besinnung.
Die »Haare« der Gorgone sträubten sich. Steif wie Stacheln hatten sich die Schlangen aufgerichtet und standen starr vom Kopf ab. Doppelt so groß wirkte ihr Schädel dadurch. Fast zu klein sah das blasse Gesicht des gefährlichen Weibes aus.
Sie vermochte in diesem Raum nicht ihre volle Kraft zu entfalten. Es gab zu viele Störfaktoren, und hinzu kam das silberne Kruzifix, das ihr Pater Severin nach wie vor entgegenhielt.
Diese Umstände retteten dem sympathischen Priester das Leben.
Die griechische Mythologie spricht von drei schlangenhäuptigen Schwestern: Stheno, Euryle und Medusa. Ihr Anblick versteinerte, und nur Medusa war sterblich. Ihr schlug Perseus das Haupt ab und schenkte es Athene als abwehrendes Schildzeichen. Mit der von Phorkys-Energie und Marbu-Kraft durchpulsten Gorgone verhielt es sich genauso. Auch ihr Anblick versteinerte. Wer ihr in die grausamen Augen sah, war verloren.
Doch nicht hier - und nicht im Schutz des Kreuzes.
Hier konnte die Gorgone den Priester nicht töten, aber sie traf ihn trotzdem schwer…
***
Ich kam zu mir, erwachte aus dieser lähmenden Trance und fragte mich, ob es Pater Severin geschafft hatte. War es dem Priester gelungen, das Böse aus mir zu vertreiben? War es ihm gelungen, Marbu zurückzudrängen? Oder hatte er es wenigstens geschafft, das schleichende Gift zu stoppen, damit es mich nicht weiter überwucherte? Ich horchte in mich hinein. Irgend etwas war anders geworden. Ich fühlte mich besser, optimistischer. Das Gute schien einen Sieg errungen zu haben.
Dafür mußte ich Pater Severin danken.
Wo war er überhaupt?
Ich richtete mich auf und nahm wahr, daß die Tür offen war. Eine alte Frau ging soeben hinaus. Eine Frau mit grünem Haar, das sich bewegte. Oder waren das Schlangen auf ihrem Kopf?
Ich war wohl noch nicht ganz da…
Meine Sinne mußten mir einen Streich gespielt haben.
Ich erhob mich und sah Pater Severin. Er saß auf der Holztruhe und wirkte erschöpft. Das wunderte mich nicht. Der Exorzismus hatte diesem robusten Mann bestimmt alles an Kraft abverlangt.
Er wirkte geistesabwesend, und als ich ihn ansprach, reagierte er nicht. Die Teufelsaustreibung schien ihn noch mehr mitgenommen zu haben, als ich gedacht hatte.
Ich begab mich zu ihm.
Er nahm mich überhaupt nicht wahr.
Ich
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