0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
mitbekommen«, sagte Suko, als ich das Telefon wieder weglegte. »Normal ist das jedenfalls nicht.«
»Stimmt.«
»Und du willst trotzdem durch die Grachten?«
»Dabei bleibt es. An der Rezeption können wir eine Nachricht hinterlassen. Länger als eine Stunde sind wir nicht unterwegs, habe ich mir sagen lassen.«
»Wo willst du denn einsteigen?«
»Das fragen wir unten. Jedenfalls nicht zu weit von hier entfernt, denke ich mir.«
»Okay, gehen wir.«
Es tat uns beiden leid, die Zimmer verlassen zu müssen. Aber wir waren nicht gekommen, um in dieser Stadt Urlaub zu machen. Schließlich galt es, einen ungewöhnlichen Killer zu finden. Wenn ich an die Erlebnisse der letzten Nacht dachte, konnten Urlaubsgefühle erst recht nicht aufkommen…
Der Kommissar hätte nicht gedacht, daß es auf dem Wasser noch kälter war. Zwischen den Ufermauern ballte sich die kalte Luft, und er war froh, sich bewegen zu können. Die Handschuhe hatte er übergestreift, er legte sich in die Ruder, weil er so schnell wie möglich vorankommen wollte und auch hoffte, sich durch diese starken Bewegungen etwas zu erwärmen. Fanny war ihm ein Stück des Wegs gefolgt. Sie war am Ufer mitgelaufen und hatte ihm viel Glück gewünscht. In ihrem hellen Mantel wirkte sie wie eine sich rasch bewegende Schneefrau.
Van Steen konnte mit den Rudern umgehen, das war wichtig, denn so ohne Gefahren waren die Grachten nicht. Auch im Winter waren die Touristenboote unterwegs, zwar nicht alle, aber sie hatten in den Grachten Vorfahrt, und er mußte sich als einsamer Ruderer nach ihnen richten.
Natürlich suchte er den Schwimmer. Van Steen hatte ihn so genannt, weil ihm kein besserer Begriff eingefallen war: Gleichzeitig ärgerte er sich über das Auftauchen dieser Gestalt zum falschen Zeitpunkt, denn er war mit den beiden Engländern im Hotel verabredet. So war das Leben, es ging nicht immer glatt, schon gar nicht, wenn man die meiste Zeit davon als Polizist verbrachte. Zudem hatte er eine einmalige Chance am Zopf ergriffen, obwohl ihm auch jetzt noch nicht in den Kopf wollte, daß er tatsächlich einen Mörder verfolgte.
Zu sehen war von ihm nichts.
Van Steen drehte sich immer wieder um, weil er damit rechnete, daß diese Gestalt doch auftauchen mußte, aber das Wasser schwieg. Wenn sie weiterschwamm, dann unter der Oberfläche, und es stellte sich die Frage, ob jemand so lange die Luft anhalten konnte.
Ein Mensch nicht.
War der Killer kein Mensch?
Der einsame Ruderer konnte sich von diesem Gedanken einfach nicht lösen. Es gab im Prinzip keinen Grund für ihn, so zu denken, aber er kam davon nicht los. Möglicherweise hatte es am Anblick der Leiche gelegen. Er traute einem Menschen diese Scheußlichkeit nicht zu. Wer aber würde dann eine derartige Tat begehen können?
Ein Monster? Ein Zombie aus dem Wasser. Ein Untoter, eine lebende Leiche, eine Mutation…
Da schossen zahlreiche Begriffe durch seinen Kopf, aber mit keinem davon konnte er sich anfreunden, weil sie einfach nicht nachvollziehbar waren. Er kam damit nicht zurecht. Van Steen war ein Mann, der sich in der Realität bewegte, der Wert auf polizeiliche Ermittlungen legte und nicht an Dinge glaubte, die irgendwelche Filmemacher zeigten.
Oder…?
Er war plötzlich selbst unsicher geworden. Vor einigen Minuten hatte er dieses Wesen gesehen. War es ein Mensch oder ein treibendes Stück Holz?
Nein, das war es nicht. Dafür war es einfach zu schnell durch die Gracht geschwommen. Durch einen Kanal, in dem es nur eine schwache Strömung gab. Es hatte sich aus eigener Kraft weiterbewegt, und mit einem Motor war es bestimmt nicht ausgerüstet gewesen.
Er ruderte weiter.
Der Schatten einer der zahlreichen Brücken erfaßte ihn. Für wenige Sekunden dunkelte es um ihn herum zu, und der Mann zog die Ruder ein, um sich vom Schwung der letzten Schläge treiben zu lassen. Dabei schaute er in verschiedene Richtungen auf das Wasser, um herauszufinden, ob sich das Wesen an der Oberfläche blicken ließ.
Er sah es nicht.
Zwar trieben andere Gegenstände in der Brühe. So identifizierte er Holzlatten, Kunststoffbehälter, Pappe, die völlig durchweicht war, und auch ein paar Lumpen, die feucht und wasserschwer am inneren Rand der Brücke »klebten«, aber das Ding, worauf es ihm ankam, geriet nicht in sein Blickfeld.
Er ärgerte sich, nahm die Ruder zur Hand und mußte nach rechts ausweichen, denn eines der klobig wirkenden Ausflugsboote walzte auf ihn zu.
Es sah aus wie ein schwerer, kompakter
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