0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
verlorengegangener Schmuck.
»Ob das richtig ist, was wir tun?« fragte Suko. Er zog ein skeptisches Gesicht.
»Wie kommst du darauf?«
»Du kannst mich für einen Idioten oder was auch immer halten, aber irgendwie habe ich schon ein schlechtes Gewissen, da bin ich ehrlich. Wir sind hergekommen, um einen Killer zu jagen und nicht, um uns wie Touristen durch die Grachten fahren zu lassen. Ich jedenfalls kriege das nicht in die Reihe.«
Ich widersprach. »Soviel wir wissen, ist der Killer aus dem Wasser gekommen.«
»Das muß nicht sein, John.«
»Wieso?«
»Man kann die Leiche auch in eine Gracht hineingeworfen haben. Der Fundort ist nicht immer der Tatort.«
»Bingo.«
»Nimm's nicht so tragisch.« Suko klopfte mir auf die Schulter. »Wenn wir schon mal hier sind, sollten wir auch gezielt vorgehen, denke ich.«
»Wie meinst du das denn?«
Er deutete mit dem Daumen auf die andere Seite, wo die meisten Sitzbänke leer waren. »Ich werde dort meinen Platz einnehmen, da haben wir die Gracht von beiden Seiten unter Kontrolle.«
»Wie du willst.«
Mein Freund rückte weg.
Inzwischen war der Motor angelassen worden. Dunkle Abgaswolken stiegen in den Himmel. Der gläserne Ausgang wurde geschlossen. Ich schaute in die Höhe und sah über dem Glasdach Möwen hinwegsegeln.
Der Kapitän schaltete ein Band ein. Die Stimme darauf begrüßte die Gäste in vier Sprachen, unter anderen auch in Englisch, und viersprachig würden auch die Erklärungen gegeben werden. Die Fahrtzeit dauerte knapp eine Stunde, und man wünschte den Gästen viel Spaß.
Wir setzten zurück.
Auch ich drehte mich dabei um, weil ich die anderen Mitreisenden sehen wollte.
Hinter uns saßen keine mehr. Die anderen hatten sich auf den vorderen Bänken verteilt. Eine deutsche Familie befand sich unter ihnen. Sie machte die Reise mit ihren Kindern, die sich auf die Grachtenfahrt freuten.
Das Boot drehte auf der Stelle. Sein Bug zeigte zum Bahnhof hin, und in diese Richtung fuhren wir auch.
Eigentlich hätte ich mich jetzt entspannt zurücklehnen können, das aber schaffte ich nicht. Im Innern steckte ich voll einer seltsamen Unruhe. Ich wartete praktisch darauf, daß etwas passierte und wäre sogar enttäuscht gewesen, wenn der Fall nicht eingetreten wäre.
So komisch es sich auch anhörte, ich vermißte zwei alte Spezis. Diesen Einäugigen und seine Begleiterin. Ich hatte fest damit gerechnet, sie hier in Amsterdam zu treffen, das war bisher nicht der Fall gewesen. Ich gab die Hoffnung trotzdem nicht auf.
Wir fuhren am Bahnhof vorbei.
Die ersten Erklärungen drangen an unsere Ohren. Die geschichtlichen Daten dieser Station mochten zwar interessant sein, ich hatte auf dieser Fahrt dafür keine Ohren.
Suko erging es kaum anders. Als ich ihm einen Blick gönnte, da sah ich, wie er durch das Glas auf das Wasser schaute, als würde die Oberfläche jeden Moment zu einem kochenden Meer werden, aus dem der Reihe nach die Monster stiegen.
Am besten gefiel die Fahrt wohl den beiden Kindern. Sie hatten noch zahlreiche Fragen, und der Steuermann war so nett, auf die meisten von ihnen Antwort zu geben.
Wir hatten sehr schnell den Bereich des Bahnhofs verlassen und näherten uns einem alten Hafen.
Das Wasser verlor seine Ruhe. Höhere Wellen schlugen heran, aber der richtige Hafen war das nicht, nur ein kleiner Ausschnitt, aus dem wir sehr bald wieder abdrehten. Vor uns öffnete sich eine Gracht. Ein Kanal, schnurgerade geschnitten, eine Brücke darüber, ich schaute hoch, sah Radfahrer und Fußgänger, die die Brücke überquerten.
Es war schwer, sich nicht von der Umgebung einfangen zu lassen, zu interessant waren die Häuser neben den Wasserstraßen. Keines sah so aus wie das andere. Sie unterschieden sich immer wieder in Details, und aus den Lautsprechern tönten die Erklärungen, wobei die Stimme auf besonders interessante Bauwerke hinwies.
Mein Blick wechselte zwischen Häusern und dem Wasser hin und her.
Noch hatte ich nichts Verdächtiges in der braungrünen Brühe gesehen. Zwar schwamm viel Treibgut herum, manches hatte sich auch vor den Schleusen gestaut, die bei Hochwasser geschlossen wurden, damit es zu keiner Überflutung kam, aber das gehörte einfach alles dazu und war so normal.
Über Lautsprecher erfuhren wir Gäste, daß wir jetzt den Bereich des Flusses Amstel erreichten.
Genau dort, wo der Kanal in die Amstel einmündete, mußten wir nach rechts schauen, denn dort befand sich die bekannteste der mehr als achthundert Brücken
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