0848 - Der alte Mann verfluchte mich
Schritt mit seiner Machete ab, um immer wieder Schwung zu holen. Gegen mein Tempo kam er nicht an. Ich war ein normal großer Mensch mit entsprechend langen Beinen, und so holte ich auf.
Ich kam so nahe an den Kleinen heran, daß ich ihn keuchen und knurren hörte. Es waren Laute der Wut, und er drehte mit einer schwungvollen Bewegung den Kopf, so daß die Kapuze nach hinten auf den Rücken rutschte. Sein Schädel war rund, die Haare schwarz. Ich beeilte mich noch mehr, meine Schritte wurden länger, der Zwerg vor mir schlug einen Haken, er knurrte wieder, dann stemmte ich mich am Rand einer kleinen Vertiefung ab und gab mir die nötige Kraft für den alles entscheidenden Sprung.
Ich fiel nach vorn, den rechten Arm ausgestreckt, und ich erwischte die Kutte. Ich zerrte daran, hörte einen leisen Schrei. Der kleine Mensch wurde mitten im Lauf gestoppt, er riß beide Arme hoch, die Machete tanzte dabei, dann kippte er zurück, und ich drehte mich schnell zur Seite, damit er nicht auf mich prallte.
Beide lagen wir am Boden.
Der Kleine war schneller hoch als ich, und er war auch ein Stück von mir weggerutscht.
Ich ging davon aus, daß er angreifen würde. Wenn er zuschlug, würde er mich in der unteren Körperhälfte treffen, meine Beine befanden sich in großer Gefahr, aber er tat es nicht.
Auch ich griff ihn nicht an.
Wir beide hatten den Pfiff gehört, und wir beide sahen, daß unsere so tot wirkende Umgebung lebendig wurde. Ich sah mich plötzlich umkreist von all den kleinen Geschöpfen, aus deren Mitte ein großer Mensch wie ein Mittelpunkt herausragte.
Es war ein alter Mann, ebenfalls in eine Kutte gehüllt. Er wirkte auf mich wie ein grauer Schatten in der tiefgrauen Dunkelheit. Er hob sich davon ab und war vielleicht deshalb so gut zu erkennen. Ich sah, daß auf seinem Kopf nur wenige Haare wuchsen, zumindest der vordere Teil war frei. Sein Gesicht zeigte irgendwie verschmitzt wirkende Züge. Die lange knochige Nase, der dünne Mund, das hervorstehende Kinn, die listig wirkenden Augen, das alles verlieh dem alten Mann etwas Kasperhaftes.
War er der Chef der Zwerge?
Um eine Antwort kam ich herum. Irgend jemand hatte einen Stein aufgehoben oder einen ähnlichen Gegenstand. Und den hatte er zielgenau geworfen.
Er erwischte mich am Hinterkopf.
Die Welt um mich herum versank, und ich hatte das Gefühl, in die Tiefe zu fallen, einem Meer entgegen - wie die Selbstmörderin.
Auf dem feuchten Boden blieb ich liegen…
***
Lange dauerte dieser Zustand nicht an. Ich war auch nicht bewußtlos geworden, ich hatte nur böse Kopfschmerzen gekriegt und war nicht einsatzfähig.
Erst dachte ich, daß jemand in meiner Nähe stöhnte, bis mir auffiel, daß ich es war.
Unter mir spürte ich den weichen, aber auch kalten Boden. Als ich die Augen weit öffnete, trieben die Wolken über den Himmel wie bei einem schaurigen Film.
Verdammt noch mal, ich ärgerte mich gewaltig, daß es mich erwischt hatte. Ich hätte mich nicht so reinlegen lassen dürfen. Wie ein Anfänger war ich in die Falle getappt.
Auf der anderen Seite hatte ich mit einer derartigen Entwicklung auch nicht gerechnet. Dieser Zwerg war nicht allein gewesen, er hatte Hilfe von seinen Artgenossen bekommen, und ich überlegte, wie viele es wohl gewesen waren. Der Machetenzwerg und sechs seiner Helfer. Das erinnerte mich an das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Aber wer war dann das Schneewittchen? Etwa die tote Erica?
Im Märchen hatte sie ausgesehen wie Erica, nur eben jünger. Auch das gleiche schwarze Haar und auch die Haut wie Elfenbein. Da kamen schon einige Dinge zusammen.
Bevor ich nicht mehr wußte, hatte es keinen Sinn, über dieses Phänomen nachzudenken. Ich wollte auch nicht mehr länger auf der kalten Erde liegenbleiben und setzte mich hin.
Mein Kopf tat mir weh, was sich allerdings ertragen ließ. Da hatte ich schon härtere Dinge erlebt und war darüber hinweggekommen.
Noch im Sitzen schaute ich mich um. Natürlich war keiner dieser kleinen Menschen mehr zu sehen, und ich war froh dabei, daß mich der erste Zwerg nicht mit seiner Machete getötet hatte.
Am Hinterkopf hatte die Kante des Steins eine kleine Wunde gerissen, aus der es feucht hervorrann.
Ich putzte das Blut mit dem Taschentuch weg, steckte es wieder ein und stemmte mich hoch. Auf dem vor mir leicht abfallenden Hang hatte ich leichte Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht, und mein Blick fiel hinunter bis auf die Straße, wo mein Wagen noch stand und das
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