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0851 - Der Kult der Shada-Gor

0851 - Der Kult der Shada-Gor

Titel: 0851 - Der Kult der Shada-Gor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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Drachen war sehr gründlich. Doch jetzt sah sie vor ihrem inneren Auge das Bild einer weinenden Frau, die einmal schön gewesen sein musste, bevor Armut und Trauer ihr Gesicht verhärmt hatten. Ein letztes Mal presste sie ihr Kind an sich, das sie nie wiedersehen würde. Neben der Frau stand ein hagerer Mann, der das Kind mit sanftem Druck aus ihrer Umklammerung löste. Er gab sich gefasster, doch auch in seinen Augen schimmerten die Tränen.
    Mama! Papa!
    Dann verschwamm das Bild und sie sah eine andere Frau, die für sie fast wie eine zweite Mutter gewesen war, auch wenn sie ihr nie begegnet war. Dem äußeren Anschein nach war sie fast noch ein Mädchen, doch ihre Augen strahlten Kraft und eiserne Entschlossenheit aus. Tin Hau. Im Taoismus galt die Meeresgöttin als Schutzpatronin der Fischer und Seefahrer. Doch nur wenige kannten ihre wahre Geschichte. Vor über tausend Jahren war Tin Hau eine mächtige Zauberin gewesen, die ihr Leben geopfert hatte, um das heutige Hongkong vor dem Fremden zu retten. Nach ihrem Tod hatten sich die neun mächtigsten Zauberer der Umgebung zusammengeschlossen, um ihr Erbe auf ewig zu bewahren. Die ersten Neun Drachen.
    Chin-Li sah ihre Schutzgöttin so deutlich, als stünde sie direkt vor ihr. In ihrem Blick lag eine seltsame Heiterkeit und ihr Lächeln war wärmer als die aufgehende Morgensonne. In diesem Moment wusste die junge Chinesin, dass sie noch nicht verloren war. Sie erinnerte sich an eine alte chinesische Weisheit. Wahren Mut beweist nicht, wer keine Furcht hat, sondern wer sich seiner Furcht stellt und sie überwindet.
    Entschlossen wischte sich Chin-Li die Tränen aus dem Gesicht. Sie spürte, wie neue Kraft ihre Adern durchströmte. Sie hatte ihre Ängste immer als ihren schlimmsten Feind angesehen und sie tief in sich eingekapselt. Doch ihre Ängste waren ein Teil von ihr. Sie machten sie erst zu dem, was sie war. Und so lange sie das wusste, konnte ihr keine äußere Gefahr etwas anhaben.
    Chin-Li stand auf und lächelte. Sie war bereit für den Kampf.
    ***
    Zwei bewaffnete Soldaten führten sie durch unterirdische Gänge, bis sie in einen von zahlreichen Wachen und massiven Stahltüren gesicherten Bereich weit unterhalb der Erdoberfläche kamen. Sie gingen an unzähligen Zellen vorbei, und nicht wenige von ihnen schienen belegt zu sein.
    »Was ist das?«, fragte Zamorra. »Ihr Folterkeller?«
    »Wenn Sie es so nennen wollen«, erwiderte Oberst-Yee gut gelaunt. »Wir bevorzugen den Begriff Verhörzentrum.«
    »Hier unten hört wenigstens niemand die Schreie Ihrer Opfer.«
    »Das ist einer der Vorteile, Mademoiselle Duval.«
    Die Uniformierten, an denen sie vorbeikamen, grüßten ehrfurchtsvoll. Offenbar verbreitete Yee nicht nur bei der einheimischen Bevölkerung Angst und Schrecken. Schließlich führte der Oberst sie in einen großen, mit modernsten technischen Geräten vollgestopften Raum. Eine Seite wurde fast komplett eingenommen von einer großen Fensterscheibe, hinter der sich ein karg eingerichtetes Verhörzimmer befand. Zamorra kannte solche Räume zu Genüge. Die Scheibe war mit Sicherheit nur von einer Seite aus transparent, so konnten Yee und seine Leute jedes Verhör mitverfolgen, ohne selbst dabei gesehen zu werden.
    Am Tisch des Verhörzimmers saß eine kahl geschorene, circa 50-jährige Frau in dem typischen Gewand einer buddhistischen Nonne. Ihre Lippen bewegten sich unaufhörlich. Obwohl sie fast flüsterte, konnte Zamorra die sich immer wiederholenden Worte durch die Lautsprecher gut verstehen: »Om Mani Padme Hum.« Der Parapsychologe kannte die Worte aus seinen Studien über den Buddhismus. Übersetzt lauteten sie: »Heil dem Juwel im Lotos.« Es war das Mantra des Mitleids, das aus buddhistischer Sicht jedem Lebewesen gebührte. Mitleid, das-Yee und seine Schergen ihrer Gefangenen sicher nicht entgegenbringen würden.
    Zamorras Magen krampfte sich zusammen, Er ahnte, was jetzt passieren würde.
    »Yee, was haben Sie vor? Was immer Sie von uns wollen, diese Frau hat nichts zu tun damit.«
    »Natürlich nicht. Aber ich kenne Menschen wie Sie. Sie sind so verdammt heroisch, vermutlich könnten wir Sie tagelang foltern, ohne dass Sie etwas preisgeben würden. Aber sobald es Unschuldigen an den Kragen geht, lässt Sie Ihre westliche Sentimentalität weich werden.«
    »Okay, das reicht. Lassen Sie die Frau in Ruhe, und wir sagen Ihnen, was Sie wissen wollen.«
    Yee grinste hämisch. »Netter Versuch, Professor. Aber Sie sollen doch wissen, dass wir es

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