0856 - Der Drache aus dem Sumpf

ich nackt herumlaufe?«
    Er sah ihren Rollkoffer an, den er hinter sich her schleppte. »Ja«, sagte er dann.
    Einen Moment lang sah sie ihn entgeistert an. »Pah! Das kannst du haben, du filzbärtiger… Mann, du!« Und sie zerrte bereits an ihrem engen Top, um es sich vom Luxuskörper zu rupfen.
    »Nicole, es reicht!«, stoppte Tendyke sie, während Zamorra überlegte, was denn ein Filzbär-Tiger sei. »Uns fehlt die Zeit für Einkäufe. So lange dauert es nämlich nicht, den Toten zu begutachten. Und wenn du meinst, unbedingt nackt herumlaufen zu müssen, dann mach das im Camp, aber nicht hier auf dem Flughafengelände!«
    Nicole zog eine Grimasse.
    Zamorra ahnte, dass es ihr weniger um Einkaufsbummel und Provokation ging, sondern darum, den Anblick des Toten zu vermeiden. Schulterzuckend folgte er Tendyke in den Hubschrauber. Nicole blieb draußen, was Tendyke zu einem Stirnrunzeln veranlasste.
    »Mademoiselle ist doch sonst nicht so zickig«, brummte er.
    »Hier hat sie einen guten Grund. Vielleicht erzählt sie ihn dir, wenn du sie ganz lieb darum bittest.«
    Der Abenteurer tippte sich an die Stirn.
    In dem Kawasaki BK-118 wurden sie von Yon Terk erwartet. Er rauchte eine Winfield und schnippste die Asche einfach auf den Boden. Terk wies auf ein großes, kastenförmiges Behältnis. »Ich habe den Deckel schon mal aufgestemmt«, sagte er und klappte diesen hoch.
    Zamorra verspürte Übelkeit. Das Skelett an sich machte ihm weniger zu schaffen. Davon hatte er zeitlebens schon zu viele gesehen. Aber dass dieses Skelett Kleidung trug… Kleidung, die noch weit davon entfernt war, zu vermodern…
    »Marcus Mercury«, stellte Yon Terk scheinbar ungerührt vor. »Er wurde von einer seiner Mitstudentinnen eindeutig identifiziert.«
    Tendyke sah den Toten lange Zeit an.
    Zamorra wandte sich ab. Mit seinem Amulett konnte er hier nichts ausrichten. Es ging keine dämonische Aura von dem Toten aus. Der Professor fragte sich, wer oder was in der Lage war, einen Menschen so zuzurichten. So, dass nur die Knochen und die Kleidung übrig blieben und alles, was dazwischen war, spurlos verschwand.
    »Lassen Sie ihn umladen, Terk«, sagte Tendyke. »Der Pilot der Beachcraft ist informiert. Er tankt hier auf und fliegt dann direkt New York an, mit einer Zwischenlandung irgendwo, um nachzutanken.«
    »Aber erst mache ich die Kiste wieder zu«, sagte Terk. Er klappte den Deckel herunter und trieb die vorher gelockerten Nägel mit ein paar Hammerschlägen wieder ins Holz hinein. Dann beugte er sich aus dem Hubschrauber und gab einen so lauten Pfiff von sich, dass Nicole erschrocken zusammenzuckte und ihm im Reflex fast die Handkante an den Hals geschlagen hätte.
    Auf den Pfiff hin setzte sich drei Dutzend Meter weiter ein Gabelstapler in Bewegung, und drei Brasilianer machten sich daran, die Kiste vom Hubschrauber in das Flugzeug zu laden.
    »So«, brummte Terk, »möchte ich nicht eines Tages nach Hause geflogen werden.« Er streckte Nicole die Hand entgegen. »Steigen Sie ein, hübsche Lady. Wir starten gleich.«
    ***
    »Warum frönst du deiner Abenteuerlust eigentlich bei einer Blauen Stadt?«, fragte Zamorra, während sie ihrem Ziel entgegenflogen. Eine Unterhaltung war ohne Schwierigkeiten möglich, da das Innere des Eurocopters zusätzlich schallisoliert worden war. Vom Dröhnen des Motors und vom Flugwind war nichts zu hören, obgleich die Maschine fast mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von annähernd 580 km/h flog. »Hast du von der Stadt in Louisianas Sümpfen und der extra für dich darin eingerichteten Falle nicht genug?« [2]
    Tendyke lächelte dünnlippig. Er entsann sich der vier Jahre zurückliegenden Ereignisse nur zu deutlich.
    Damals hatte er nahe seinem einstigen Versteck in einer Blockhütte im Sumpfgebiet des Bundesstaates Louisiana eine solche Stadt entdeckt. Diese Stadt war von einem MÄCHTIGEN zu einer Falle für den Abenteurer gemacht worden. Der MÄCHTIGE hatte dort ein Meegh-Raumschiff deponiert. Stadt, Raumschiff und Hütte wurden im Zuge des Geschehens zerstört.
    »Gegenfrage: Warum hast du von den Blauen Städten, in denen du dich herumgetrieben hast, noch nicht genug?«
    »Man findet immer wieder kleine Überraschungen darin«, sagte Zamorra.
    Die Blauen Städte waren vor rund 40.000 Jahren erbaut worden. Mittlerweile waren sie größtenteils nur noch Ruinen. Ihren Namen hatten sie von der Farbe ihres Mauerwerks. Die Architekturbasierte auf dem Siebeneck, sowohl bei Grundrissen als auch bei Türen und