0857 - Die Schnitterin
nicht noch eine Spur, John? Ich denke an den Fahrer des Unglückswagens, diesen Mehmet Slater. Er hat von der Totenfrau Besuch erhalten, und vielleicht ändert sie ihre Meinung dahingehend, daß sie ihn nicht länger am Leben lassen will. Rechnen müßte man damit, wenn auch schwach.«
»Das habe ich ins Kalkül gezogen.«
»Dann dürfte man diesen Mehmet Slater also nicht aus den Augen lassen, denke ich mir.«
»Stimmt.«
»Eine Aufgabe für Suko?«
»Ich wollte ihn fragen.«
»Schön, machen Sie das.« Sir James schaute sich um. Hinter den Brillengläsern zeigten die Augen einen widerwilligen Ausdruck.
»Ein schreckliches Haus«, flüsterte er. »Ein Haus, in dem ich nie und nimmer leben, geschweige denn mich wohl fühlen könnte.« Er hob die Schultern. »Nein, das gefällt mir ganz und gar nicht. Ein kaltes Mausoleum.«
»So haben wir auch gedacht, Sir.«
»Lassen Sie uns diesen Bau verlassen.«
Draußen war Suko, der mit einigen Kollegen sprach. Als er uns sah, kam er mit schnellen Schritten auf uns zu. »Pech auf der ganzen Linie. Ich habe keine Spur des Gärtners entdeckt.«
»Wo hat er denn gewohnt?« fragte Sir James.
Suko hob die Schultern. »Das konnte ich nicht feststellen.«
»Schade«, murmelte unser Chef. Er deutete wieder auf das wuchtige Haus. »Gerade Menschen, die so leben wie dieser Thornton Brundage und sich auch Personal halten, die lassen die Mitarbeiter meistens auf dem eigenen Grundstück leben. Sie bauen ihnen oft ein kleines Haus, deshalb gibt es wohl auch den Begriff Gärtnerhaus.«
»Danach habe ich Ausschau gehalten, Sir, aber leider nichts dergleichen entdeckt.«
»Schade.«
»Finden werden wir ihn.«
»Das können Sie dann John überlassen. Für Sie wäre es besser, wenn Sie den Fahrer des Unglückswagens bewachen.«
Es gefiel Suko nicht. »Heißt das, daß ich mich in ein Krankenzimmer setzen soll?«
»Im schlimmsten Falle. Es wäre besser, wenn wir ihn nicht aus den Augen lassen. Diese Schnitterin könnte ihre Meinung ja ändern und in einem Anfall von haßerfüllter Trauer Mehmet Slater umbringen. Einmal war sie schon bei ihm und hat ihm gedroht.«
Suko lächelte schmal. »Okay, ich übernehme den Job. Was ist mit dir, John?«
»Ich schaue mir den toten Brundage etwas genauer an.«
»Und wirst wahrscheinlich warten.«
»Auf wen oder was?«
Suko lächelte. »Auf sie natürlich. Auf seine bleiche Freundin Amy Brundage.«
»Unsere Chancen stehen gleich«, erwiderte ich. »Sie kann ebensogut bei ihrem Mann erscheinen wie bei dir im Krankenhaus. Wichtig ist nur, daß wir sie erwischen.«
Sir, James, der uns zugehört hatte, fragte: »Und was, bitte, wollen Sie dann unternehmen?«
»Wir müssen Sie ausschalten.«
Ich hatte nicht sehr überzeugend gesprochen, was meinem Chef auch aufgefallen war. »Ausschalten und damit die Jagd beenden.«
»So ist es.«
Sir James kniff die Augen leicht zusammen. »Wie haben Sie sich noch ausgedrückt, John? Dämonen des Himmels?«
»Ja.«
»Sie würden dann auch weiterhin frei herumlaufen.«
Ich ballte die rechte Hand zur Faust. »Es würde dazu möglicherweise kommen, aber ich kann es nicht ändern, so leid es mir tut. Da müssen wir schon zurückstecken. Wir befinden uns in einer Zwickmühle.«
Er räusperte sich. »Es sieht so aus, als würden wir in diesem Fall zweiter Sieger bleiben.«
Ich nickte, und meine Gedanken wanderten zum letzten Fall zurück, bei dessen Lösung ich mir auch als zweiter Sieger oder als Verlierer vorgekommen war.
Mein Chef spürte, welche Gedanken mich bedrückten. »Machen Sie sich keine Sorgen, John.« Er legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Wir schaffen es. Wir haben es immer wieder geschafft – oder?«
»Irgendwie schon«, meinte Suko.
Ich lächelte nur verkrampft. Aber auch einem Mann wie mir tat es gut, von seinem Vorgesetzten so etwas wie Trost zugesprochen zu bekommen…
***
Ich hatte die Umgebung gewechselt. Von dem inoffiziellen Leichenhaus war ich in das normale gefahren, wo der tote Thornton Brundage aufbewahrt wurde.
Ich hatte mich angemeldet und mußte auf eine gewisse Doktor Brandon warten. Sie kam sehr schnell. Eine kleine, flotte, blonde Person im weißen Kittel, mit klaren, hellen Augen, kurzem Haar und einem breiten Lachen.
Sie reichte mir die Hand. »Ich bin Doktor Eve Brandon, und sie müssen ein überraschter John Sinclair sein.«
»Der bin ich.« Ich erwiderte den festen Druck der Hand. »Und ich bin auch überrascht, eine Frau wie Sie hier in der
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