0857 - Die Schnitterin
Pathologie zu finden. Das hatte ich mir nicht vorgestellt.«
»Pardon, aber ich bin Ärztin.«
»Das glaube ich Ihnen, Doc…«
»Bitte nicht Doc. Sagen Sie einfach Eve. Ich kann Sie übrigens beruhigen. Ich werde nicht mein ganzes berufliches Leben in dieser Umgebung verbringen. Aber ein halbes Jahr etwas dazulernen, das ist schon gut. So, und nun fahren wir in mein Büro.«
Wir nahmen den Lift.
Ich kannte die Schauhäuser. Ich kannte auch dieses hier. Wenn ich in den Keller fuhr, hatte ich immer das Gefühl, mich einem riesigen Grab zu nähern.
Aber ein Grab hatte keine so nüchterne Einrichtung wie das kleine Büro der Ärztin, das sie sich noch mit einem Kollegen teilte.
Sogar ein PC stand hier, und durch eine große Scheibe konnte ich in den Raum schauen, wo die Kollegen der Ärztin an zwei Leichen arbeiteten, die auf Stahltischen lagen.
Eve Brandon hatte meinen Blick verstanden. Lachend zog sie ein Rollo vor die Scheibe. »Ist es so besser?«
»Ein wenig schon.«
»Gut, dann kommen wir zur Arbeit.« Sie strich über ihr Haar und öffnete eine schmale Tür. Dahinter lag ein dunkler Raum. Eve schaltete das Licht ein. Ich entdeckte darin Regale, die mit Nummern versehen waren. In den Regalen und über den entsprechenden Nummern lagen die persönlichen Gegenstände, die bei den Toten gefunden worden waren. Die Plastikbeutel waren ebenfalls mit Nummern versehen.
Eve stellte sich auf die Zehenspitzen, schaute in der oberen Regalreihe nach und hatte gefunden, was sie suchte.
»Soll ich Ihnen helfen?« rief ich, denn ich hatte gesehen, wie sie sich reckte..
»Nein, ich schaffe das.«
Sie schaffte es tatsächlich. Der verschlossene Beutel kippte ihr entgegen, sie fing ihn auf und kehrte zu mir zurück. Den Beutel legte sie auf den Schreibtisch.
»Haben Sie schon alles genau untersucht?« wollte ich wissen.
Beinahe strafend schaute sie mich an. »John, ich bitte Sie. Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern die der Kollegen von der Spurensicherung. Das müßten Sie doch eigentlich wissen.«
»Sorry, natürlich. Ich war nur etwas durcheinander.«
»Dann breiten wir es mal aus. Die Kleidung wird nach Blut riechen, daran kann ich nichts ändern.«
»Macht nichts.«
Sie faltete eine Plane aus Kunststoff auseinander, und ich half ihr dabei, sie auf dem Boden auszubreiten. Den Beutel hatte die Ärztin schon geöffnet. Sie drehte ihn mit der Öffnung nach unten. Beide schauten wir zu, wie die Habseligkeiten und Kleidungsstücke des Toten aus dem Plastiksack rutschten und sich auf der Plane ausbreiteten.
Nur gut, daß mich Eve Brandon schon vorgewarnt hatte, denn die Kleidung sah wirklich schaurig aus. Das Blut hatte dunkle Flecken hinterlassen und sich an einigen Stellen auch mit dem Löschschaum vermischt, der gegen die Gestalt und auch den Wagen gespritzt worden war. Bill hatte es getan, daran erinnerte ich mich noch gut.
Ich bekam zwei dünne Handschuhe gereicht und streifte sie über.
Dennoch fühlte ich mich nicht gerade wohl, als ich die Kleidung auseinanderzupfte und sie durchsuchte.
Der Geruch stieg permanent in meine Nase. Es roch nach Blut und auch nach Asche oder Verbranntem. Zumindest glaubte ich das. Die Unterwäsche legte ich beiseite. Ich wollte mich mehr um die Hose, das Hemd und auch um die leichte Sommerjacke kümmern.
Die Ärztin hatte auf der Schreibtischkante ihren Platz gefunden und schaute mir zu. Ich kümmerte mich zuerst um das Hemd, das auf der Brust zwei Taschen aufwies.
Sie waren leer.
Dann nahm ich mir die Jacke vor. In den Außentaschen fand ich ein schmales Feuerzeug, und in der rechten Innentasche eine Brieftasche, die ich verwundert hochhielt.
»Was ist?« fragte die Ärztin.
»Mich wundert es, daß ich noch etwas gefunden habe.«
Eva Brandon hob die Schultern. »Ihre Kollegen von der Spurensicherung haben sich noch nicht mit der Leiche beschäftigt. Außerdem war es kein Mord, sondern ein Unfall. Es bestand also kein zwingender Grund.«
»Das stimmt wohl.« Ich legte die Brieftasche zur Seite und suchte weiter. Einen Bund mit Schlüsseln fand ich noch in der Hosentasche, auch ein Taschentuch, ansonsten nichts. Trotzdem war ich mit der Ausbeute zufrieden. Ach ja, Kleingeld hatte auch noch in der Hosentasche geklimpert.
Ich setzte mich auf den Platz des anderen Kollegen und schaute mir die Fundstücke an.
Eve Brandon beobachtete mich dabei. Den Schlüssel lege ich sofort zur Seite. Viel wichtiger war die Brieftasche, die ich aufklappte.
Die Fahrerlizenz sah ich
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