0857 - Erbe der Aphilie
die be-sagten, daß im weiteren Verlauf des Ganges Überwachungsmechanismen in Tätigkeit waren, die die Aufgabe hatten, Unbefugte am Betreten der Verbindungsstelle zu hindern.
Hamiller und Kanthall durchquerten die zweite Hälfte des Ganges ohne Zwischenfall.
Die Kontrollmechanismen hatten ihre Berechtigung anerkannt. Vor dem Schott, das die eigentliche Verbindungsstelle verschloß, blieben beide stehen.
„Ich warte hier auf Sie", sagte Hamiller.
„Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden", antwortete Jentho Kanthall mit leisem Spott. „Wer weiß, vielleicht geraten NATHAN und ich einander dort drin in die Haare!"
Payne Hamiller lächelte.
„Wenn er überhaupt nur auf Sie eingeht, dann ist meine Wartezeit schon gut angelegt!"
Jentho Kanthall legte die rechte Hand auf die kleine Leuchtplatte, die in das metallene Schott eingelassen war. Die schwere Metallplatte glitt zur Seite. Ein kurzer Gang wurde sichtbar, der in einen runden, mit bequemen Möbeln ausgestatteten Raum mündete.
Kanthall trat durch die Öffnung. Sekunden später schloß sich das Schott. Payne Hamil-ler war alleine.
*
Er ging fünfzig Schritte den Gang entlang, kehrte um und schritt wieder auf das Schott zu. Kehrte wieder um, ging fünfzig Schritte - und blieb plötzlich stehen. Woran erinnerte ihn das? Der kahle Gang, das grelle Licht, das unruhige Auf- und Abgehen?
Er sah sich um. Wände, Decke und Boden des Korridors mochten aus nacktem Mondgestein bestehen. Aber der Fels war geglättet und mit einer dicken Schicht Gußplastik überzogen worden, wie sie auch für die Innenausstattung von Raumschiffen verwendet wurde.
Das war es! Der Korridor glich dem Decksgang eines Raumschiffes! Payne Hamiller war an Bord nicht allzu vieler Raumfahrzeuge gewesen, und nur in einem davon hatte er sich so lange aufgehalten, daß diese halb verdrängte Erinnerung hatte entstehen können, der er jetzt auf der Spur war.
Er schloß die Augen und bildete sich ein, er höre das stete Summen, das von den Wän-den an Bord eines jeden Raumschiffs ausging und von der Tätigkeit der unzähligen Ma-schinen kündete, die irgendwo im Bauch des Fahrzeugs am Werk waren. Er brauchte seine Phantasie nicht übermäßig zu strapazieren. Hinter der Plastikverkleidung der Wän-de, eingebettet in den lunaren Felsen, verliefen die Stränge des Klimasystems, die ähnli-che Vibrationen erzeugten wie die Maschinen eines Raumschiffs.
Fünfzig Schritte, dachte Hamiller. Immer auf und ab!
„Geh nach draußen und warte auf mich!" sagte leise eine Stimme aus ferner Vergangenheit. „Wenn es soweit ist, werde ich dich rufen."
„Aber draußen ist es so langweilig", antwortete die Stimme eines Kindes.
„Kannst du zählen?"
„Ja, natürlich."
„Bis zweitausend?"
„Ja, aber es macht keinen Spaß. Die langen Zahlen bringen mich durcheinander."
„Ich weiß, wie du ganz leicht bis zweitausend zählen kannst!"
„Wie?" fragte die Kinderstimme.
„Geh nach draußen ..."
Die Laute aus der Vergangenheit wurden schwächer. Aber Payne Hamiller wußte mit ei-nemmal, woran der Gang ihn erinnerte - der Gang und die fünfzig Schritte, die er aufund abgegangen war. Es war eine ganze Episode aus seiner Kindheit, die plötzlich wieder vor seinem geistigen Auge auftauchte. Sie war so deutlich in sein Bewußtsein eingeprägt, daß er nicht verstehen konnte, warum er sich in der Zwischenzeit nicht an sie erinnert hatte.
Die Stimmen gehörten zu der Episode. Aber als diese Worte gesprochen wurden, da war die Geschichte schon fast zu Ende. Angefangen hatte sie ganz anders. Payne Hamil-ler war damals acht Jahre alt. Er war an Bord der SOL geboren. Er entstammte einer tra-ditionellen Ehe. Seine Eltern hatten nicht einen Ehevertrag miteinander geschlossen, wie es viele andere Leute taten, sondern sich für alle Zeit miteinander verbunden. Payne war ihr einziges Kind.
An Bord der SOL gab es einen künstlichen Wechsel von Tag und Nacht. Morgens ging Payne zur Schule. Am frühen Nachmittag machte er Hausaufgaben. Später durfte er mit seinen Altersgenossen spielen.
An einem dieser Nachmittage begann die Episode, die Payne Hamiller soeben wieder eingefallen war.
*
Ein Junge namens Skarza, der den Beinamen „der Krieger" für sich beanspruchte, war der Wortführer der Horde, zu der auch Payne gehörte. Skarza war mehr oder weniger dafür verantwortlich, die Spiele auszudenken, mit denen die neun Jungen und das eine Mädchen sich nachmittags die Zeit vertreiben
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