086 - Und nachts kam der Vampir
nur loswerden, damit Ihre Unfähigkeit nicht ans Licht kommt. Sie haben nichts herausgefunden, stimmt’s?«
»Hauen Sie endlich ab!«
Högls Stimme hatte ungewollt drohend geklungen, und der Reporter ließ sich einschüchtern. Er wich zur Seite.
Ein anderer Beamter kam heran.
»Entfernen Sie diesen Mann«, befahl Högl. »Nehmen Sie ihn fest, wenn er sich sträubt.«
Fred Mertens warf ihm noch einen wutentbrannten Blick nach, doch er sah ein, daß er im Augenblick auf dem kürzeren Arm des Hebels saß und folgte dem Uniformierten widerspruchslos.
***
Andreas Breitinger hatte sieh mit unter den Neugierigen befunden, die den Binderhof umstanden. Er wandte sich gerade zum Gehen, als sein Logiergast ihn ansprach.
»Na, Herr Breitinger? So spät noch auf den Beinen?«
»Ach, Sie sind’s, Herr Wilkin. Waren Sie oben?«
Der Reporter nickte und befriedigte die Neugierde seines Zimmervermieters. Nur über die Theorien der Polizei schwieg er sich beharrlich aus. Andreas Breitinger war inzwischen mit dem Umstand versöhnt, daß er sich hatte breitschlagen lassen, an einen »Zeitungsschmierer« zu vermieten. Schließlich war er aus erster Hand informiert worden.
»Nein, die Polizei hat noch keine Ahnung, wer der Täter sein könnte«, schloß Ferdy Wilkin seinen Bericht. »Außer Frage steht nur, daß für alle Morde und den Mordversuch an Herrn Ballier nur ein einziger Täter in Frage kommt.«
Andreas Breitinger schwieg. Er war betreten und fasziniert zugleich. Wie die meisten Menschen konnte auch er sich dem Nervenkitzel nicht entziehen, der Menschen in seinen Bann schlägt, wenn sich in ihrer allernächsten Umgebung ein Gewaltverbrechen ereignet. Sie gingen auf den Breitinger-Hof zu.
»Kann ich Sie noch auf einen Schnaps einladen?« fragte Andreas Breitinger. »Das, was Sie mir erzählt haben, hat mich doch ein wenig mitgenommen.«
»Danke«, nahm Ferdy Wilkin das Angebot an. »Ich kann jetzt auch einen gebrauchen.«
Der Bauer schloß auf und führte den Reporter in sein Zimmer, in dem ein Schreibtisch mit Papierkram überfüllt war.
»Entschuldigen Sie«, meinte er mit einem Blick auf die Unordnung, »aber die Zeiten, in denen unsereins seine Zeit hauptsächlich auf dem Feld verbracht hat, sind vorbei. Der Papierkram bringt mich noch um.«
»Ich hasse ihn auch«, sagte Wilkin und heimste dafür ein weiteres Stück der Sympathie des Bauern ein. »Je mehr sie bei der Regierung reformieren, um so unzumutbarer wird die Bedienung der Verwaltung.«
»Das sage ich auch schon die ganze Zeit. Eine richtige Schande ist das.«
Andreas Breitinger ging an den breiten, bemalten Schrank, für den ein Antiquitätensammler ein kleines Vermögen ausgegeben hätte. Der Bauer hatte eine Flasche mit zwei Gläsern in der Hand, als er sich wieder zu seinem Schreibtisch zurückwandte, neben dem Ferdy Wilkin inzwischen Platz genommen hatte. Es waren Wassergläser, und er goß sie drei Finger hoch voll.
»So etwas bekommen Sie in der Stadt nicht«, meinte er dabei. »Das ist ein Schwarzgebrannter.«
»Aber man bleibt trotzdem gesund dabei?«
Das gelbliche Getränk floß heiß die Kehle hinunter. Es schmeckte wirklich vorzüglich. Ferdy Wilkin gönnte sich einen weiteren kleinen Schluck.
»Trinken Sie nur«, meinte Breitinger gönnerhaft. »Auf einem Bein steht man nicht.«
Wilkin folgte dieser Aufforderung nur zu gern. Er räusperte sich, als Breitinger zum zweiten Mal nachgeschenkt hatte.
»Wie stehen Sie eigentlich zu diesem Herrman Kreger?« fragte er, und fügte schnell hinzu: »Ich meine, was ist er für ein Junge?«
»Herrman? Was soll schon sein mit ihm? Er ist Knecht auf dem Hof.«
»Ja, das schon. Aber er kommt mir komisch vor. Er macht auf mich den Eindruck eines Einzelgängers. Und das ist in seinem Alter doch nicht normal. Wie alt ist er eigentlich?«
»Gerade achtzehn geworden. Aber komisch ist er schon. Das muß man ihm lassen.«
»Stammt er aus dem Dorf?«
»Aber nein. Vielleicht hat ihn das so komisch gemacht. Er ist Vollwaise, und ich habe ihn wie einen Sohn bei mir aufgenommen.«
»Soll er einmal den Hof erben?«
Andreas Breitinger starrte den Reporter an, als hätte er gerade das Alphabet von hinten aufgesagt.
»Erben? Der Herrman? Wo denken Sie hin! Der hat sie doch nicht alle. Der ist doch nicht ganz normal, wie Sie selber schon gesagt haben.«
Ferdy Wilkin hatte das zwar nicht behauptet, zumindest nicht in diesen Worten, doch er wollte dem Bauern nicht widersprechen, wenn der schon einmal zum
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