0860 - Dämonische Zwillinge
den Abbé schon jetzt leiden sehen, und er erklärte ihm, daß er ihm den Schädel vom Körper reißen würde.
Ich versuchte alles.
Noch immer konnte ich nicht sprechen. Aber ich rollte mich von der Sitzbank, fiel auf die Knie, und dieser leichte Aufprall reichte aus, um wieder die Schmerzen durch meine Brust zu schicken, als wären dort Blitze unterwegs.
»Nicht, John…«
Es war Suko, der zu mir gesprochen hatte.
Ich drehte den Kopf.
Meinem Freund ging es noch am besten von uns. Er hatte sich bereits hingestellt und starrte auf den Rücken des abtrünnigen Engels. Seine Beretta hatte er nicht gezogen. Es hatte wahrscheinlich auch keinen Sinn. Geweihte Silberkugeln gegen eine derartige Gestalt einzusetzen, war lächerlich. Zu dem hatte uns der Abbé davon berichtet, daß ihn eine Kugel nicht töten konnte. Seine Wunden schlossen sich wieder von allein, da mußte man schon mit anderen Waffen kommen.
Natürlich wäre mein Kreuz wohl ideal gewesen, nur war ich nicht in der Lage, es über den Kopf zu streifen. Ich konnte nicht mal die Formel rufen.
Aber Suko besaß seinen Stab.
Und den hielt er bereits in der Hand. Noch bevor Josephiel seinen fürchterlichen Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, rief er laut. »Topar!«
Alle, die das Wort hörten, erstarrten, ich eingeschlossen. Aber auch der Abtrünnige, und darauf war es Suko angekommen…
***
Ich hatte damit gerechnet, daß er zu ihm laufen und ihm den Abbé entreißen würde. Das aber tat Suko nicht. Fünf Sekunden waren eine verdammt knappe Zeitspanne, besonders in diesem Fall.
Suko mußte sich wahnsinnig beeilen, denn alles kam jetzt auf ihn an.
Auf ihn allein!
Und plötzlich war er bei mir. Er sprach nicht, er handelte. Niemals zuvor hatte mir ein anderer so schnell die Kette über den Kopf gestreift. Das Kreuz befand sich in Sukos Besitz. Obwohl ich starr war und nicht mal den kleinen Zeh bewegen konnte, fieberte ich mit, weil ich darauf hoffte, daß es mein Freund schaffte.
Er lief hin.
Waren die fünf Sekunden um?
Ja, in diesem Augenblick.
Die Menschen regten sich wieder. Es war wie im Märchen Dornröschen, wo all die Bewohner des Schlosses nach dem hundertjährigen Schlaf genau dort wieder anfingen, wo sie vor so langer Zeit aufgehört hatten.
Nur war dies kein Märchen, dafür die Realität, und es stand auch nicht fest, ob der Ausgang positiv verlief.
Der Abbé jammerte. Sein Kopf wurde bereits zur Seite gerissen, auch der Abtrünnige drehte den Schädel mit den beiden Hörnern darauf, weil er Bloch ins Gesicht sehen wollte, um dessen Todesangst haarklein zu erleben.
Suko mußte schnell sein, und Suko war auch schneller. Sein rechter Arm wischte nach oben, die Hand hielt das Kreuz, und die tauchte plötzlich so dicht vor dem Gesicht der Gestalt auf, daß beide miteinander Kontakt bekamen.
Ich sah ein Feuer!
Keine normale Flamme, sondern etwas, das grellweiß in die Höhe schoß. Ein Stich wie ein gleißendes Messer, auf dessen Klinge sich die Strahlen der Sonne verloren. Das alles blendete mich, ich hörte einen gellenden Schrei, dann sah ich, wie sich die Hand aus dem Haar des Abbés löste.
Bloch, der noch über dem Boden schwebte, sackte zusammen. Er flatterte mit den Armen, aber er lebte, und das allein war wichtig.
Josephiel lebte ebenfalls noch.
Er drehte sich um.
Schwerfällig waren seine Bewegungen. Er torkelte dabei sogar, und Suko hatte sich wieder zurückgezogen. Er stand jetzt in meiner Höhe und wartete.
Hatte es das Kreuz geschafft?
Wir wußten es nicht, wir konnten auch nicht Josephiels Gesicht erkennen, weil er den Kopf gesenkt hielt, aber wir bekamen mit, wie seine Hörner plötzlich schmolzen.
Sie hatten ihre Farbe bereits verloren. Allmählich wurden sie grau, dann noch dunkler. Nun hatten sie eine Schwärze erreicht, die mich an verbranntes Mauerwerk erinnerte.
Und sie blieben nicht mehr so stark.
Sie sackten zusammen, sie waren brüchig geworden, wir hörten das Knirschen des Horns oder was immer es auch sein mochte. Jedenfalls drangen sie gleichzeitig in Josephiels Schädel ein, der in diesem Augenblick den Kopf anhob.
Er starrte uns an.
Wir starrten ihn an.
Suko drückte mir das Kreuz in die Hand. Es tat gut, seine Wärme zu spüren, die mich beruhigte. Es konnte durchaus sein, daß ich es noch einmal einsetzen mußte, denn dieser verfluchte Mörder war noch nicht am Ende.
Auch wenn sein Gesicht zu einer aufgequollenen Masse geworden war und die Augen vorstanden.
Es sah aus, als hätte es keinen
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