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0860 - Die Blutbank von Venedig

0860 - Die Blutbank von Venedig

Titel: 0860 - Die Blutbank von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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auf noch nicht einmal dreißig geschätzt hätte.
    Das Volk munkelte, doch man durfte nur hinter der vorgehaltenen Stadt und im Geheimen raunen. Oder der Aufwiegler verschwand in den berüchtigten Bleikammern, wo er verschmachtete, in glühender Hitze im Sommer, bei Eiseskälte im Winter, den Bleidämpfen ausgesetzt, die ihm die Lunge zerfraßen.
    Andere, die gegen die Scalbas, Mutter und Sohn, zu reden wagten, wurden als Leichen aus den Kanälen gezogen oder aus der Lagune gefischt, Dolchstiche in den Rücken.
    Es war eine große Zeit. Ungeheure Reichtümer wurden von den Karavellen und auch Galeeren zur Seekönigin Venetia gebracht. Scalba verstand sich als Nachfolger Enrico Dandolos, des Größten aller Dogen, und wollte ihn noch übertreffen.
    Umberto Scalbas Ressourcen waren von dämonischer Art und den Zaubertränken seiner Mutter zu verdanken. Ihm sah man das Alter an. Er hegte den ehrgeizigen Plan, wie sein großer Vorgänger ebenfalls Konstantinopel zu erobern und das Osmanische Reich niederzuwerfen.
    Der Alte Umberto schmiedete eine Allianz. Doch bevor die vereinigte Seemacht in See stechen konnte, brach die Pest aus. Der Schwarze Tod vereitelte 1526 die Eroberungspläne. Die Allierten Venedigs flohen vor dieser großen Pest welle, die Europa heimsuchte, und brachten den Tod in ihre Heimathäfen.
    Ein Drittel der Bevölkerung von Venedig starb in den glutheißen Sommertagen anno 1526. Ans Kriegführen war nicht mehr zu denken. Der Doge und seine uralte, jung gebliebene Mutter waren nicht von der Pest betroffen. Mit ihrer Leibwache und Getreuen, die wie sie scheußlicher Teufelsanbeterei und blasphemischen Riten frönten, zogen sie sich in die Gewölbe des Prokuratorenpalasts zurück.
    Oberhalb in der Lagunenstadt starben die Menschen wie die Fliegen. Der Schwarze Tod tötete das Kind an der Mutterbrust und die Mutter selbst, ließ den Gondoliere tot von der Gondel sinken und türmte die Leichen. Jeden Morgen holten schwarze Gondeln die Leichname derer ab, die als Opfer der Beulenpest die Nacht nicht überlebt hatten.
    Auf der Insel Murano brannten die Leichenfeuer Tag und Nacht. Pestgräber wurden in tiefen Gewölben und Katakomben gefüllt und dann zugemauert. Wehklagen herrschte in der Stadt.
    Der Alte Umberto, der Doge, La Genovesa und ihre Getreuen hatten in den Gewölben Zuflucht gesucht. In der Stadt hieß es, die Pest sei die Strafe des Himmels für die Untaten der Dämonen anbetenden Scalbas, die ganz Venedig entartet und in den Abgrund geführt hätten.
    Die strafende Geißel Gottes.
    Es war nicht absehbar, wie die Geschichte Venedigs weiterverlaufen wäre. Ob nun die Scalbas nach dem Abklingen der Pestepidemie wieder hervorgekommen wären, die sich gleich Ghuls in den Gewölben nährten. Oder ob das noch immer empörte Volk sie gelyncht und verbrannt hätte.
    Ein junger Mönch namens Benedetto Amalfi gab den Ausschlag. Er hatte gegen Scalbas gepredigt, als sich diese noch auf dem Höhepunkt ihrer Macht befanden. Dafür war er in den Bleikammern von Venedig eingekerkert worden. Als seine Wärter an der Pest starben, konnte er sich befreien.
    Er eilte durch den Palasthof und die Riesentreppe mit den Kolossalstatuen von Mars und Neptun hinauf in die Loggien.
    Ein Wächter mit prunkvollem Wams, engen Beinkleidern und Schnallenschuhen stellte sich ihm mit der Hellebarde entgegen.
    ***
    Dogenpalast in Venedig, 1526
    »Hund der Scalbas!«, rief der ausgemergelte Mönch in der braunen Kutte und streckte dem Wärter sein Holzkreuz entgegen. »Aus dem Weg!«
    »Hier kommst du nicht weiter!«
    Der bullige Wärter in der prunkvollen Uniform der Garde des Dogen richtete die Hellenbardenspitze auf den dürren kleinen Mönch mit der Tonsur und dem Strick der Kapuziner um den Leib. Der Gardist stand auf der Goldenen Treppe, die zum Nobelstockwerk mit seinen prachtvoll ausgestatteten Sälen emporführte.
    Er sah aus, als ob der um einen Kopf größere Wärter ihn mit einer Hand die Treppe hinunterwerfen könnte. Hundertzehn Pfund wog er, wenn nicht weniger.
    »Der Herr gebe mir Kraft«, raunte Benedetto Amalfi. Die Haft in den Bleikammern hatte ihn fast umgebracht.
    Er hustete, und als er die Hand wegzog, war Blut darin.
    »Du bist ja mehr tot als lebendig«, sagte der Wärter fast mitleidig. »Verschwinde, Männlein, bevor ich dich mitten durch haue.«
    Amalfi straffte sich. Es schwindelte ihn, seine Brust schmerzte. Doch er überwand seine Schwäche. Er wusste, dass er eine große Aufgabe hatte, nur er konnte

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