0866 - Rattennacht
in ihrer Nähe auf dem Boden und zupften an den Saiten ihrer Gitarren. Ein harmloses Bild, doch harmlos war die Umgebung wahrlich nicht.
Absaloms Lächeln blieb. Es war kalt wie Gletschereis und stand dem Ausdruck in seinen Augen in nichts nach. »Ich denke schon, daß Sie etwas gespürt haben«, sagte er.
»Was meinen Sie?« fragte Suko.
Der Mann schaute sich um. Dann trat er eine Idee zurück, um mehr Platz zu haben. Das Schaukeln des Wagens hatte er perfekt ausgeglichen. Er war überhaupt ein Profi, was das Fahren mit der Metro anging, und er öffnete plötzlich seinen Mantel.
Er klappte die beiden Seiten auseinander, so daß Suko und Shao gegen die Innenseiten schauen konnten.
Da saßen die Ratten!
Sie hatten sich am Futter festgeklammert. Sie hockten dicht an dicht. Sie bildeten einen dichten Pelz, und die Stoffstruktur des Mantels gab ihren Krallen genau den Halt, den sie benötigten. Keine Ratte rührte sich, sie schienen zu schlafen, aber die meisten von ihnen hatten ihre Köpfe gedreht und schauten zurück.
Kleine, dunkle Augen blickten Shao und Suko an. Aus ihnen leuchtete, so jedenfalls kam es ihnen vor, eine gewisse Boshaftigkeit und auch Gefahr entgegen.
Suko schluckte.
Shao saugte die Luft durch die Nase ein.
In ihrer Nähe klimperten die beiden Mädchen noch immer auf ihren Instrumenten. Sie hatten nichts von diesem Anblick mitbekommen, und Absalom genoß die Überraschung, die er den beiden bereitet hatte. »Nicht schlecht, wie?« fragte er.
»Das ist Ansichtssache«, murmelte Suko.
Absalom hob die Schultern, bevor er den Mantel wieder zuklappte. »Möglich, aber andere sollten die Ansicht desjenigen vertreten, der die Macht ausübt. Und das bin ich in diesem Fall. Ich habe die Macht, ich habe sie durch meine Ratten.« Er drehte für einen Moment den Kopf und schaute in den Wagen hinein. »Was, frage ich Sie, glauben Sie, was geschieht, wenn ich meinen kleinen Freunden den Befehl gebe, den Schutz zu verlassen und sich hier im Wagen zu verteilen? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«
»Nein«, gab Shao zu. »Es bestand auch kein Grund dazu.«
»Denken Sie das wirklich?«
»Sonst hätte ich es nicht gesagt.«
Absalom lächelte. »Sie sind sehr eingebildet und auch von sich überzeugt, Madame. Sie meinen, daß es für mich keinen Grund gibt, meine kleinen Freunde freizulassen? Ich glaube, da irren Sie sich. Es liegt an Ihnen, ob hier die Panik ausbricht oder nicht.«
»Wieso an uns?« fragte Suko.
»Mir geht es um die Wahrheit.«
»Pardon - aber die kennen Sie.«
»Nein, nicht Ihre Wahrheit. Nicht die subjektive. Es geht mir um die objektive Wahrheit.«
»Tut mir leid, aber da bin ich überfragt.«
»Ich möchte nur wissen, wer Sie wirklich sind.«
»Zwei Touristen.«
»Mit einem besonderen Flair.«
»Das Sie mir erklären müssen«, sagte Shao.
»Ich spüre es. Sie sind nicht nur Touristen. Wenn Sie sich nicht entschließen, die Wahrheit zu sagen, werde ich meine Ratten hier laufenlassen, und Sie werden erleben, zu welchen Szenen es kommt, wenn Menschen plötzlich aus ihrer Lethargie herausgerissen werden. Das glauben Sie gar nicht. Da drehen die Leute durch. Sie werden schreien, und sie werden versuchen, die Fenster einzuschlagen, um aus dem Zug zu entwischen. Ich gebe Ihnen drei Sekunden.«
Bluff oder nicht?
Das wußten weder Shao noch Suko genau. Der Inspektor war ohne Beretta unterwegs. Er trug nur die Dämonenpeitsche und seinen Stab bei sich. Er wußte auch nicht, was er dem anderen sagen sollte. Sich als Polizist zu erkennen geben, ihm erzählen, daß er sich um ungewöhnliche und mystische Fälle kümmerte?
Was hätte das gebracht? Er holte tief Luft.
»Die Bedenkzeit ist um!«
Shao übernahm im letzten Augenblick das Wort. »Wir sind Engländer«, sagte sie.
»Das ist nicht neu für mich.« Absalom lächelte. »Sie scheinen nicht begriffen zu haben, daß ich keine allgemeinen Bemerkungen über sie hören will, sondern konkrete Wahrheiten. Wer hat Sie auf meine Spur gesetzt?«
Shao schüttelte den Kopf. »Und wenn Sie uns totprügeln, es gibt keinen. Wir haben Sie angesprochen, weil es sich so ergab.«
Der Mann nickte.
Shao und Suko wollten aufatmen, als sie ihn zurücktreten sahen. Sie wußten, daß es passieren würde. Es reichte auch kein Schrei mehr, um ihn aufzuhalten, denn aus seinem dünnen Mund drang ein zischendes Geräusch, der Befehl für die Ratten.
Und die verließen ihr Versteck!
***
Als pelzige Bündel fielen sie unter dem Saum des
Weitere Kostenlose Bücher