0869 - Leichengift
so gewarnt hatte.
Es war der eklige Geruch eines Abwasserkanals. Wir kannten ihn, aber es kam noch etwas hinzu.
Nicht nur der Gestank von Fäkalien drang uns in die Nase, auch dieser andere.
Leichengestank, Leichengift.
Wir wußten, welchen Weg der Killer genommen hatte. Suko brauchte mich nur anzuschauen.
Er sah mein Nicken.
Dann machten wir uns an den Abstieg!
***
Jim Little lächelte. Er schaute sich in einem der Spiegel an, und sein Lächeln wurde noch breiter.
Die Augen flimmerten. Er sah das Blut in seinem Gesicht, das die Umgebung der Lippen wie ein roter Schmier bedeckte. Er dachte plötzlich daran, daß er es geschafft hatte. Es war diesmal genau in seinem Sinne gelaufen. Es gab überhaupt keinen Ärger, der Bulle hatte sich zwar gewehrt, aber er hatte ihm gezeigt, wer Herr in diesem Haus war. Ein Opfer. Zu wenig für ihn. Er dachte an den anderen Mann, der noch im Lager lag.
Da mußte er hin.
Zunächst aber blieb er im Verkaufsraum stehen. Er schaute sich nicht mehr um, sah auch nicht in den Spiegel, sondern dachte darüber nach, daß gewisse Dinge ihren Lauf nahmen. Die Menschen waren geflohen, sie würden sich draußen versammeln, sie würden weitere Polizisten alarmieren, diese würden das Geschäft stürmen, und er würde sich einer gewaltigen Übermacht stellen müssen.
Wollte er das?
Jim Little überlegte.
Nein, das wollte er im Prinzip nicht. Er war nicht unsterblich, das sah er schon ein, und er dachte daran, daß es im Lager etwas gab, das ihm eine große Hilfe sein könnte.
Da war ein Gully gewesen. So etwas mußte einfach aus Sicherheitsgründen vorhanden sein, falls es einmal zu einer Überschwemmung kam. Diese Schächte führten hinein in die Kanalisation, sie waren also die perfekten Fluchtwege.
Auch für ihn.
Nichts hielt ihn mehr in diesem Verkaufsraum. Er mußte hinunter in die andere Welt. Er würde hinabsteigen, er würde verschwinden, aber zuvor würde er sich noch um den anderen Mann kümmern und sein Zeichen auch bei ihm hinterlassen.
Geduckt huschte er zwischen den Regalen entlang. Kameras konnten ihn nicht erfassen, weil keine vorhanden waren. Man verließ sich hier auf die runden Spiegel, aber das war ihm jetzt egal.
Nur weg.
Das Lager nahm ihn auf. Er blieb dicht hinter dem Durchgang stehen. In seinem zerfressenen Gesicht zuckte es, und er roch, daß etwas von der Kette hochstieg und seine Nase umwehte. Es war das Leichengift, das die einzelnen Stücke absonderten, und dieser Geruch war für ihn besser als das beste Parfüm.
Er saugte es auf. Er spürte die Kraft. Er kam sich gut vor, und er bückte sich, um den Bewußtlosen anzuheben.
Dann ließ er ihn wieder fallen.
Etwas war geschehen.
Er konnte es nicht einordnen, aber Little stöhnte auf. Plötzlich war der Mann nicht mehr wichtig, sondern nur noch sein Fluchtweg, deshalb lief er mit langen Schritten dorthin, wo der schwere Deckel den Gullyschacht abschloß.
Er bückte sich. Seine langen, ebenfalls zerfressenen Finger fanden zielsicher die Öffnungen, und in den nächsten Sekunden bewies er seine übermenschliche Kraft, denn mit einer beinahe schon lässigen Leichtigkeit hob er den Deckel an.
Er legte ihn neben die Öffnung und beugte sein Gesicht dem Schacht entgegen, um den typischen Geruch einzusaugen, der aus der Tiefe aufstieg.
Er leckte seine Lippen. Da unten lag seine Welt. Da würde er sich verkriechen und auch fliehen können. Er würde wieder irgendwo an der Oberfläche erscheinen und weg sein.
Vorher jedoch…
Er drehte sich um.
Little fühlte sich gut. Alles lag jetzt einzig und allein in seiner Hand. Endlich konnte er sein Schicksal bestimmen. Nach so langen Jahren war er erwacht, um freie Bahn zu haben.
Wunderbar…
Er ging weiter. Er schlich. Nichts hörte er aus dem Verkaufsraum. Diese Totenruhe gefiel ihm.
Weitergehen.
Da lag er.
Wieder der Griff - und die schnelle Warnung!
Jim Little riß den Mund auf. Ein Keuchen drang hervor wie ein Dampfschwall. Er wollte nach dem Toten greifen, aber etwas riß seine Arme zurück.
Ein Gefühl, eine Warnung, die ihn im Kopf getroffen hatte. Da stimmten die Voraussetzungen nicht mehr. Alles war anders geworden. Er hatte den Eindruck, in einer Falle zu stecken, denn von irgendwoher näherte sich etwas.
Die Gefahr…
Er konnte sie orten. Er wußte, daß sie kam, aber er konnte nicht herausfinden, wer oder was es war.
Jim Little zog sich zurück. Er dachte an den Schacht. Der Mann vor ihm war vergessen. Er mußte jetzt einsteigen. Er
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