087 - Der sentimentale Mr. Simpson
nur einen klaren Kopf zu behalten -«
»Ich würde den Mund nicht so voll nehmen«, erklärte Aubrey gelassen. »Alle vierundzwanzig Stunden gibt es nur drei günstige Augenblicke. Ich habe mich mit dem Problem sehr eingehend beschäftigt. Wenn man im richtigen Moment einsteigt, kann man nicht verlieren. Zu jeder anderen Zeit aber gibt es keinen Gewinn.«
»Wollen Sie vielleicht damit sagen, daß Sie jeden Tag nur drei Minuten lang gewinnen?« spottete Stanton.
»Ich spreche nicht von mir«, korrigierte Twyford. »Ich arbeite nach System und brauche deshalb keinen Verlust einzukalkulieren.«
»Wenn Sie ein System haben, warum spielen Sie dann nicht die ganze Zeit?« erkundigte sich Stanton und leerte sein Sektglas. »Sie sehen ja tagelang nur zu!«
»Heute abend spiele ich«, erklärte Twyford gelassen, »und ich werde gewinnen. Ich riskiere Höchsteinsätze von zwölftausend Francs.«
»Eigentlich müßten wir uns nach unserem Freund richten«, mischte sich Souchet ein, »aber wie soll man das machen? Er setzt erst kurz bevor Karten ausgeteilt werden, und dann ist es praktisch zu spät!«
Twyford lächelte. »Auch das gehört zu meinem System«, verkündete er.
Das Mädchen sah Bobby an. »Führ mich auch ins Casino, wenn Mr. Twyford aufbricht«, sagte es. »Ich möchte ihm zusehen.«
»Ich besorge dir einen Stuhl neben ihm«, erwiderte der junge Mann. »Es gibt überall Stumme, die für einen kleinen Betrag ihren Platz aufgeben.«
»Stumme?« fragte die junge Dame verwirrt.
»Ich weiß nicht genau, ob man sie so nennt«, erwiderte er und erklärte, daß es im Spielsaal ein paar Stammbesucher gäbe, die darauf warteten, daß jemand sich entferne, ohne seine Chips mitzunehmen, was gelegentlich vorkam. Vom Croupier durfte man sich allerdings nicht erwischen lassen.
Einige Minuten später löste sich die Gesellschaft auf, und die beiden schlenderten über den Platz zum Spielcasino. Ohne Schwierigkeiten beschaffte Bobby dem Mädchen einen Platz in der Nähe Twyfords. Gegenüber saß mit gerötetem Gesicht Stanton.
Twyford legte ein dickes Bündel Banknoten auf den Tisch. Er setzte sofort zwölftausend Francs und verlor. Er mußte auch seinen zweiten Einsatz auf Schwarz abgeben. Wieder verließ er sich auf diese Farbe und gewann. Das Mädchen beobachtete ihn fasziniert. Er sprang von Schwarz auf Rot, von Rot auf Couleur, von Couleur auf Invers und gewann bei sechs Einsätzen fünfmal. Das Mädchen sah atemlos zu, wie der Bankhalter mit verblüffender Geschwindigkeit die Karten auf den Tisch legte ...
»Rouge Perd et Couleur.«
Fast ohne Unterbrechung schienen die Banknoten bei Twyford zu landen. Das Mädchen notierte die Reihenfolge der Farben auf einem kleinen Notizblock, den ihr Bobby besorgt hatte. Eine Methode ließ sich nicht entdecken. Jedermann am Tisch schien zu verlieren - bis auf Aubrey Twyford.
Mr. Stanton war längst blaß geworden. Er hatte nur noch wenige Scheine vor sich liegen. Von Sicherheit war bei ihm nichts mehr zu spüren. Er setzte stets einen großen Betrag auf eine bestimmte Farbe, überlegte es sich dann anders und nahm den größten Teil zurück, ehe die Karten ausgeteilt wurden. Einmal setzte er das Maximum, zögerte, nahm es zurück und legte die fünfhundert Francs auf Rot. Rot gewann, und Stanton begann zu fluchen. Aubrey Twyford, der seinerseits den Höchstbetrag auf Rot gesetzt hatte, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
Um elf Uhr schob Stanton seinen Stuhl zurück und ging zu Twyford hinüber.
»Man hat mich ausgenommen«, klagte er. »Ich habe dreihunderttausend Francs verloren. Bei Ihnen scheint es besser zu klappen?«
Twyford sah ihn amüsiert an. »Brauchen Sie Geld?«
»Nein, ich habe für heute genug«, brummte Stanton. »Ich versuche es morgen wieder.« Etwas unsicher schritt er zur Bar.
Twyford fing Bobbys Blick auf und nickte. »Trinken wir einen Orangensaft«, meinte er. »Ich muß meinen Reichtum doch irgendwie unter die Leute bringen.«
»Darf ich dir Mr. Twyford vorstellen?«
Das Mädchen reichte dem Spieler die Hand.
»Wie wär's mit Orangensaft, Miss Radley?« meinte er. »Er wird hier sehr gerne getrunken.«
»Das klingt ja sehr unschuldig«, sagte sie.
»Genau das, was wir brauchen.«
»Ich habe Ihr großartiges System beobachtet, Mr. Twyford.«
»Hoffentlich erzählen Sie den Leuten nicht, wie ich es anfange«, meinte er trocken. »Alle Leute beobachten mich. Ich fürchte nur, daß sie nachher genauso schlau sind wie zuvor, obwohl sich
Weitere Kostenlose Bücher