087 - Der sentimentale Mr. Simpson
hättest doch auch keine Bedenken, wenn sie kein Geld hätte und du reich wärst. Oder hieltest du es etwa für würdelos, wenn sie deinen Reichtum akzeptiert?«
»Das ist etwas anderes«, erwiderte er.
»Aber doch sicher nur vom Standpunkt eines Mannes aus«, wies sie ihn zurecht und ging ins Wohnzimmer.
Eine Viertelstunde später schlenderten die drei durch die große Halle in den Cercle Privée. Sie kamen an den Roulette-Tischen vorbei und blieben bei den Trente-et-Quarante-Spielern stehen.
»Das ist das einzige Spiel, auf das er sich einläßt«, murmelte Bobby. »Schau nur hin, wie er abräumt!«
Vor dem Mann im grauen Anzug türmten sich die Tausendfrancscheine, und während sie noch zusahen, fügte er ein Bündel von 24 000 Francs hinzu. Ihm gegenüber bemerkte Bobby das grimmige Gesicht Souchets.
»Wer ist Aubrey Twyford eigentlich?«
»Das ist eine ganz merkwürdige Geschichte«, erzählte Bobby und führte das Mädchen zu einem der Stühle an der Wand. »Früher war er Professor für Psychologie. Er spielte niemals, verlebte seine Ferien aber stets in Monte Carlo. Leute, die ihn vor zwanzig Jahren hier schon gesehen haben, sagen, daß er nicht einmal eine Fünffrancmünze riskierte, bis er sein System entdeckte!«
»Er hat wirklich ein System?« fragte das Mädchen.
Bobby nickte. »Das Casino hat längst versucht, hinter sein Geheimnis zu kommen. Seit Jahren wird er von Detektiven und Casino-Angestellten beobachtet. Seine Gewinne sind von den besten Sytemexperten in ganz Europa untersucht worden, aber anscheinend verläßt er sich auf gar kein System. Soviel ich weiß, wird sogar von Zeit zu Zeit sein Gepäck durchsucht, weil man einfach herausfinden möchte, wie er es anstellt. Gefunden wurde nichts.«
»Eigenartig«, meinte das junge Mädchen.
»Das ist übrigens seine letzte Saison. Gestern hat er mir erzählt, daß er es aufgeben will.«
In diesem Augenblick kam Bewegung in die Spieler am Tisch. Souchet und Twyford standen auf und entfernten sich.
Der Mann, der nie verlor, steckte seinen Gewinn ein. Souchet sprach dabei auf ihn ein.
»Erzähl mir noch etwas von ihm«, sagte das Mädchen. »Das interessiert mich sehr!«
»Vor etwa zwölf Jahren begann er zu spielen, und seitdem hat er nicht eine einzige Saison ausgesetzt. Die Casinoleitung erklärt, daß er seit dieser Zeit etwa siebenhunderttausend Pfund gewonnen hat.«
Sie runzelte die Stirn.
»Woran denkst du?« fragte er.
»Mir ist eben etwas eingefallen«, meinte sie. Er ließ es auf sich beruhen.
Mr. Aubrey Twyford war ein großzügiger Mann. An seinem Tisch in einer Ecke des Café de Paris drängten sich stets die Gäste, und als Bobby und das Mädchen an diesem Abend das Lokal betraten, war es überfüllt.
»Noch etwas wollte ich dir erzählen«, meinte Bobby.
»Twyford ist zu den vom Pech verfolgten Leuten ausgesprochen großzügig. Ich habe selbst erlebt, daß er einen Mann verabschiedete, der seinen letzten Penny verloren hatte, und ihm einen Umschlag überreichte, der genau den verspielten Betrag enthielt. In Monte Carlo gibt es eben keine Geheimnisse«, sagte Bobby lächelnd, »und jedermann weiß, wer an den Spieltischen sein Glück gemacht hat! Voriges Jahr erschien eine Witwe, die binnen vier Tagen 3000 Pfund verlor. Sie hatte gehofft, mit dem Gewinn ihrem Sohn eine selbständige Existenz verschaffen zu können. Das war natürlich ein absurder Einfall, und Twyford sagte ihr das auch, als er ihr am ersten Tag vorgestellt wurde. Weißt du, was er schließlich getan hat? Als sie Monte Carlo verließ, nahm er ihr das Versprechen ab, nie mehr zu spielen, und schenkte ihr sechstausend Pfund!«
»Unglaublich«, staunte das Mädchen. »Wer ist der Mann neben ihm?«
»Der junge Stanton. Sein Vater hat eine gutgehende Firma in Manchester. Heute nachmittag hat sein Sohn 200 000 Francs gewonnen.«
Das Mädchen lachte. »Gibt es überhaupt Menschen in Monte Carlo, deren finanzielle Lage ein Geheimnis ist?«
»Keineswegs«, erwiderte Bobby vergnügt. »Ich möchte wetten, daß die Croupiers dein Einkommen aufs Pfund genau bestimmen können.«
Mr. Stanton hatte ein bißchen zuviel getrunken. »Heute will ich mich selbst übertreffen«, sagte er laut. »Ihr könnt zusehen, wie ich die Bank sprenge!«
Twyford nippte an seinem Glas. »Es bringt Unglück, wenn man davon spricht, daß man die Bank sprengen will«, warf er ein.
»Unglück?« meinte der andere. »Mein lieber Freund, was hat das alles mit Glück zu tun? Man braucht
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