0872 - Der Templer-Friedhof
einen Grauschleier darüber gepinselt. Er hatte auch nichts gehört, keine Stimmen, kein Waffenklirren, alles war in einer sehr dichten Stille abgelaufen, die erst unterbrochen wurde, als Suko seinen eigenen heftigen Atemstoß hörte.
Jetzt ging es ihm besser.
Er konnte die Augen öffnen.
Die Wirklichkeit und vor allen Dingen seine Zeit hatte ihn wieder. Er war schweißnaß geworden. In der kurzen Zeit hatte er einen Teil seiner Energien verbraucht.
Der Mund war trocken, die Zunge klebte am Gaumen, auch die Kleidung klebte an seiner Haut, und er konnte einfach nicht mehr auf dem Knochensessel hockenbleiben.
Deshalb stand er auf.
Suko ärgerte sich über seine eigenen Bewegungen. Sie waren längst nicht mehr so geschmeidig, wie er es gewohnt war. Ziemlich müde ging er die ersten Schritte und bewegte sich dabei auf den Tisch zu, wo auch die angebrochene Flasche Wein neben den Gläsern stand.
Mit beiden Händen stützte sich Suko an der Tischkante ab. Tief atmete er durch, um einen klaren Gedanken zu fassen. Er schüttelte den Kopf, doch noch immer verstopfte der unsichtbare Sand seine Kehle und erschwerte ein schrecklicher Druck auf seinem Kopf das Denken.
Er griff zur Flasche.
Wasser wäre ihm lieber gewesen. Da er es nicht zur Hand hatte, griff er zum Wein. Er setzte die Öffnung gegen die Lippen und ließ den Rotwein in seine Kehle gluckern.
Nach zwei Schlucken stellte er die Flasche wieder zurück. Der Wein hatte einen säuerlichen Geschmack bei ihm hinterlassen, aber seiner Kehle ging es jetzt besser.
Noch immer am Tisch stehend drehte sich der Inspektor um. Er schaute auf den Sessel, über dessen Gebein das Streulicht der kleinen Lampe hinweghuschte und ihm ein gelblichrot schimmerndes Muster gab. Der Knochensessel war ein starrer Gegenstand, in diesem ungewöhnlichen Licht aber wirkte er, als wäre er von einem geheimnisvollen und düsteren Leben erfüllt.
Es war etwas geschehen, das wußte Suko genau. Er hatte es auf eine bestimmte Art und Weise gesehen, und es war ihm ein Bild gezeigt worden, das sicherlich nicht aus dieser Zeit stammte.
Vergangenheit…
Suko ließ sich diesen Begriff wieder durch den Kopf gehen, und er spürte plötzlich den Schmerz dort, wo ihn die Kugel gestreift hatte. Das brachte ihn darauf, daß er einfach zu lange flach gelegen und die weitere Entwicklung des Falls nicht mitbekommen hatte. Es mußte eine Spur geben, die in die Vergangenheit führte, aber er hatte deren Beginn nicht mitbekommen und war im Nachhinein mit ihr konfrontiert worden. Nur kam er damit nicht zurecht. Er hatte diese glatzköpfige und schwarzbärtige Gestalt in der Kutte gesehen. Er wußte, daß sie eine bestimmte, möglicherweise auch entscheidende Rolle spielte, aber er wußte nicht, wie er sie einordnen sollte.
Suko verfluchte sich selbst. Er verfluchte den Sessel nicht, denn er war für ihn die einzige Hoffnung.
Um seine Lippen zuckte es, als er auf das makabre Sitzmöbel zuging, um einen zweiten Versuch zu starten. Als sich hinter ihm die Tür öffnete, drehte er sich ärgerlich um.
Der junge Wachtposten schaute in das Arbeitszimmer. Er sah Sukos entrüsteten Blick und zog sich schweigend und mit einem verkrampften Lächeln wieder zurück. Er hatte gemerkt, daß er störte, aber er hatte Suko auch aus dem Konzept gebracht.
Gedankenverloren stand der Inspektor da und starrte vor sich auf den Boden.
Noch mal von vorn.
Diesmal dachte er schneller, und er kam wieder auf denselben Punkt zurück.
Er mußte den Sessel noch einmal benutzen, weil seine Magie wichtig und entscheidend war. Er glaubte fest daran, daß nur sie allein die Lösung bringen konnte.
Wieder ging er auf ihn zu.
Das gleiche Ritual. Das Abtasten der Sitzfläche und der übrigen Knochen. Es hatte sich nichts verändert.
Suko nahm Platz.
Wieder stemmte er sich dabei an den Lehnen ab und ließ seinen Körper vorsichtig nach unten gleiten. Die Knochen gaben zwar leicht nach, doch sie brachen nicht.
Das bequeme Sitzen - das Ausstrecken der Beine, das Zurücklehnen, der leichte Druck der Knochen an seinem Rücken, das alles kam ihm bekannt vor und war wie ein Ritual.
Auch die Augen fielen ihm zu.
Da senkte sich der graue Vorhang, auch das war nachvollziehbar. Wieder verengte sich sein Blickfeld, und dann geschah es. Das Grau nahm eine andere Farbe an. Etwas Göttliches schob sich hinein, nicht ruhig, sondern flackernd.
Das Feuer. Es war noch da, nur schlugen die Flammen nicht mehr so hoch. Und auch die Umgebung hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher