0876 - Die Welt des LARD
aufkamen?
Diesen Gedanken warf Tarmair allerdings bald wieder beiseite, weil er ihm zu ketzerisch erschien. Er kam sich fast wie ein Verräter vor, weil er die Sticheleien eines anderen zum Vorwand nahm, um Zweifel an der Weisheit des LARD zu hegen.
Eine halbe Stunde vor der Arbeitspause kam Raylto ins Haus gewatschelt.
„Du gehst zum Rededom, um etwas gegen Cainstor zu unternehmen?'' fragte er.
„Ich wüßte nicht, was es dich anginge", antwortete Tarmair kühl. „Aber du hast recht."
„Nun gut. Du wirst Cainstor nicht vorfinden!"
„Was?"
„Man hat ihn vor wenigen Stunden gesehen, wie er mit schwerem Gepäck die Siedlung verließ."
Tarmair sprang auf. Er hatte geglaubt, Cainstors Versprechen zu besitzen, daß er ihn heute mittag im Rededom sehen werde. Jetzt aber, da er über die Worte nachdachte, die Cainstor zu ihm gesprochen hatte, kam ihm zu Bewußtsein, daß es kein solches Versprechen gab. Cainstor wollte dafür sorgen, daß sich das LARD nicht mehr über ihn zu ärgern brauchte. Im Rededom würde man erfahren, warum. Kein Wort davon, daß Cainstor selbst die Erklärung abgeben würde.
Selbst seine letzte Frage war unverbindlich formuliert: Wird man dich heute mittag im Rededom sehen?
Tarmairs Entschluß war gefaßt.
„Weiß man, in welche Richtung Cainstor sich gewendet hat?"
„Das weiß man", bestätigte der Asogene. „Er fuhr mit einem kleinen Fahrzeug nach Westen."
„Halte dich bereit!" befahl der Spötter. „Ich gehe zum Rededom, um zu hören, was man dort zu sagen hat. Sobald ich zurückkomme, setzen wir uns auf Cainstors Fährte."
Durch ein Schwenken seines grotesk geformten Kopfes gab Raylto zu verstehen, daß er der Entscheidung beipflichtete.
Im Dom befanden sich etwa ein halbes Hundert Leute-dieselbe Zahl wie gestern. Es schienen auch dieselben Manner und Frauen zu sein, zumeist fortgeschrittenen Alters. Es waren allerdings auch ein paar Junge darunter, die entweder heute zum ersten Mal hier erschienen oder Tarmair gestern entgangen waren. Die Anwesenheit junger Menschen gab dem Spötter besonders zu denken. Wenn es Cainstor gelungen war, auch die Jungen zu infizieren, dann war wirklich höchste Vorsicht geboten.
Es überraschte Tarmair nicht besonders, daß in dem Augenblick, in dem die Arbeitspause begann, der alte Prentach das Rednerpodium betrat. Seit dem vergangenen Tag wußte er, daß zwischen Cainstor und Prentach eine enge Verbindung bestand.
„Manche von euch mögen geglaubt haben", begann der Alte, „Cainstor hier zu sehen. Andere wiederum wußten, daß er um diese Zeit längst unterwegs sein würde. Seht ihr: Cainstor hat ein Versprechen abgegeben, daß er den Ärger des LARD nicht mehr länger herausfordern werde.
Das heißt, daß er nicht mehr zu uns sprechen kann - weder zu uns, noch zu anderen Leuten im Lande Quostoht. Das Handeln allerdings hat er sich nicht versagt. Er ist auf dem Weg zum Ende der Welt. Ich soll euch sagen, daß dort die Welt nicht wirklich zu Ende ist. Es gibt ein Land, das hinter dem Ende der Welt liegt. Cainstor ist aufgebrochen, um die Fremden zu finden, die dort wohnen. Und wenn er sie gefunden hat, dann kehrt er zurück, um uns von seinen Erlebnissen zu berichten.
Das ist alles, Leute! Geht wieder an eure Arbeit - oder woher ihr auch sonst immer gekommen sein möget."
Da erhob sich Tarmair.
„Einen Augenblick, Prentach!" rief er mit klarer, lauter Stimme.
Alles drehte sich nach ihm um. Prentach, der eben im Begriff gewesen war, vom Podium zu steigen, musterte ihn mit gequältem Blick. Der Alte wußte, was auf ihn zukam.
„Ich habe nur Cainstors Botschaft verkündet!'' klagte er mit schriller Stimme.
„Wer im Rededom spricht, muß seine Worte verantworten können!" schleuderte Tarmair ihm entgegen. „Was weißt du von dem Land, das angeblich hinter dem Ende der Welt liegt?"
„Nichts!" zeterte Prentach. „Gar nichts weiß ich von ihm!"
„Wieso glaubst du dann, daß es ein solches Land gibt?"
„Weil Cainstor es glaubt."
„Sag' - hat es früher schon Leute gegeben, die über das Ende der Welt hinaus in ein fremdes Land vordringen wollten?"
Die Frage verblüffte den Alten ob ihrer Einfachheit.
„Selbstverständlich hat es das", antwortete er.
„Was ist aus ihnen geworden?" fragte Tarmair. „Hat man jemals wieder von ihnen gehört?"
„N-ein", sagte Prentach stockend.
„Warum nicht?"
„Das - das weiß ich nicht."
„Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht? Ich meine, warum sie nicht zurückgekehrt
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