0878 - Die Schwertlady
Erinnerungen. Rhett wusste nur, dass sie existierte, in ihm war.
Er suchte danach, versuchte sie zu öffnen und sich nutzbar zu machen. Es wäre doch sehr enttäuschend, wenn sie hier nicht funktionierte!
Der Schweiß brach ihm aus. Er zitterte vor Anstrengung und bekam weiche Knie. Vor seinen Augen wurde es zeitweise schwarz.
»Bryont, lass mich nicht im Stich!«, flüsterte er. »Nicht jetzt! Ich muss hier raus!«
Aber es wollte nicht funktionieren. Er bekam auf diesen Teil der Llewellyn-Magie keinen Zugriff.
Oder doch?
Funktionierte es doch?
Auf eigentümliche Weise konnte er plötzlich das Innere des Schließzylinders sehen. Die kleinen Scheiben mit den Haken, die von den Zähnen des Schlüsselbarts erfasst und bewegt werden mussten!
Irgendwie wurde er selbst zum Schlüssel. Er drang millimeterweise vor, bekam einen Kontakt nach dem anderen. Dann, als er tief genug vorgedrungen war, drehte er sich vorsichtig.
Es klickte leise, als die Zunge des Schlosses aus der Falle gezogen wurde. Die Verriegelung war aufgehoben, die Tür offen.
Tief atmete er auf und löschte den Zauber. »Danke, Biyont«, flüsterte er und lehnte sich neben der Tür an die Wand. Er glaubte ein Lächeln in sich zu spüren; das Lächeln eines Mannes, den er nie kennengelernt hatte und der er selbst in einer jüngeren Inkarnation war.
Als er eine Minute später noch einmal testweise den Zauber anzuwenden versuchte, ging das nicht! Alles war wieder wie vorher!
Er wusste nicht, wie viel Kraft ihn die Aktion gekostet hatte. Langsam schwand die Weichheit seiner Knie.
Er zog die Tür auf und machte ein paar Schritte auf den Korridor hinaus.
Und ihm gegenüber kam die Schwertlady aus der Wand!
***
»Ausgerechnet jetzt«, murmelte er.
Sie war schwarzhaarig und trug ein Stirnband. Dazu einen roten, wallenden Mantel, der auch ihre Arme umschloss. Der Rest ihrer Kleidung, die nur den Oberkörper bedeckte, bestand eher aus ein wenig Schmuck und Rüstungsteilen. Ein gut proportionierter Körper mit schier endlos langen Beinen und das junge, schmale Gesicht ließen sie überaus sexy erscheinen. Mit beiden Händen hielt sie ein gewaltiges Schwert, das fast so lang war wie ihr Körper und ihr wohl die Bezeichnung gegeben hatte.
Sie durchdrang die Rhetts Zimmer gegenüberliegende Wand, als existiere die überhaupt nicht. Ihre Füße berührten den Boden nicht. Lautlos schwebte sie auf ihn zu, drehte sich dann, als wolle sie ihn komplett ignorieren.
»Bleib stehen«, sagte er.
Jetzt wandte sie sich ihm doch wieder zu, wartete ab.
Er streckte die Hand aus. »Gib mir dein Schwert«, verlangte er.
Sie schüttelte nur den Kopf.
»Gib es mir, sofort!«, wiederholte er.
Mit unglaublicher Schnelligkeit drehte sie sich um sich selbst und führte dabei einen verheerenden Hieb aus, der Rhett glatt durchtrennt hätte, wenn er nicht gerade noch rechtzeitig beiseite gesprungen wäre. Die Schwertspitze berührte ihn fast noch; dazwischen waren vielleicht gerade zwei Zentimeter.
»Lass das!«, rief er wütend. »Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast!«
Einen frechen Jungen , vernahm er ihre Stimme in seinem Bewusstsein. Dabei hielt sie das lange Bihänderschwert so, dass es ihn beinahe berührte.
»Ich bin Rhett Saris ap Llewellyn, der Erbfolger «, erwiderte er schroff. »Und gib mir das Schwert!«
Ich kannte einen Bryont Saris ap Llewellyn , sagte sie. Er wollte sich mit mir anlegen, zog es aber dann vor, sich zurückzuziehen.
»Ich kenne die Sache aus seiner Erinnerung«, erwiderte er. »Da sieht sie aber etwas anders aus. Du hast ihn zum Rückzug gezwungen! Bei mir wird dir das allerdings nicht gelingen.«
Große Worte und nichts dahinter, kam ihre Stimme wieder. Entweder bist du närrisch oder größenwahnsinnig. Verschwinde und lass mich meiner Wege gehen.
»Gib mir jetzt das Schwert«, verlangte er nachdrücklich. »Ich sage es nicht noch einmal!«
Und was willst du tun, wenn ich es dir nicht gebe? Wirst du dann zornig aufstampfen und nach deiner Mutter rufen?
Er bezähmte mühsam seine Wut. Sie provozierte ihn, versuchte ihn zu einer Leichtfertigkeit zu zwingen! Aber er blieb ruhig.
Er setzte seine Llewellyn-Magie ein!
Er führte einen gewaltigen Schlag gegen sie aus, der jeden anderen - Mensch, Vampir, Ghoul, Werwolf oder was auch immer - gegen die Wand geschleudert hätte, so kraftvoll, dass er möglicherweise die Besinnung verlor.
Doch dieser Magieschlag ging einfach durch sie hindurch!
Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Es
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