088 - Die Alpträume des Mr. Clint
geöffnete Stelle über ihrem Busen
zusammengefaßt.
»Gehen Sie
jetzt, bitte«, stieß sie hervor.
»Sie haben
mir noch keine Antwort gegeben, Schwester.«
»Ja, Sie
dürfen mich wiedersehen.«
»Wann?«
»Nicht hier,
das fällt auf. Nicht während des Dienstes. Vielleicht übermorgen oder am
Freitag. Es kommt darauf an, ob morgen mein Nachtdienst zu Ende geht oder ob
ich Schwester Emily vertreten muß. Das entscheidet sich erst morgen.« Sie hatte
die Hoffnung, daß vieles Drumherumreden Haggerty beschäftigte.
»Sie sagen
mir Bescheid?«
»Sie können
sich darauf verlassen.«
Er nickte.
Ein Lächeln huschte über seine Züge. »Ich werde viel mit Ihnen zu bereden
haben.« Er streckte seine Hand nach ihr aus und streichelte zärtlich ihre
Wangen. Susy ließ es sich gefallen, ohne ein Wort zu sagen.
Dann drehte
er sich um, ging den Weg zum Krankenzimmer zurück und schloß die Tür hinter sich.
Susy Wyngard
atmete auf. Kaum war Haggerty aus ihrem Blickfeld, suchte sie die Toilette auf,
ordnete ihre Haare und machte sich etwas frisch. Dann ging sie wieder in das
Schwesternzimmer, suchte die beiden Knöpfe und nähte sie an.
Aus den
Augenwinkeln heraus beobachtete sie dabei immer wieder den Gang. Würde es
Haggerty noch mal versuchen?
Sie hatte
keine Angst davor. Sie wußte jetzt, wie er zu behandeln war.
Allerdings
wollte sie nicht den Zwischenfall verharmlosen oder gar verschweigen. Sie mußte
das Vorkommnis melden. Die Sache konnte unter Umständen sogar etwas zum
Krankheitsbild beitragen, das sich die Ärzte dieses Hauses von dem Patienten
machten.
Susy Wyngard
ließ zwanzig Minuten vergehen. Alles blieb still.
Dann verließ
sie ihr kleines Häuschen. Es war noch nicht Mitternacht. Wie in jedem anderen
Krankenhaus, gab es selbstverständlich auch in dieser psychiatrischen
Behandlungsstätte einen ärztlichen Notdienst.
Aus Erfahrung
wußte sie, daß gerade Dr. Merredith, der heute Notdienst hatte, oft bis nach
Mitternacht an seinem Schreibtisch saß und arbeitete. Andere Ärzte legten sich
mit Beginn des Notdienstes hin und ließen sich wecken, wenn es erforderlich
war.
Dr. Merredith
aber nutzte die ruhige Zeit, von der es seiner Meinung nach viel zu wenig gab, um
sich weiterzubilden. Er machte sich Notizen, studierte Fachzeitschriften und
wälzte Bücher. Er war überzeugt davon, daß die Kenntnisse, die man inzwischen
über geistige und seelische Erkrankungen und Veränderungen gewonnen hatte, nur
die Spitze eines Eisbergs waren, der erst noch entdeckt werden mußte.
Susy Wyngard
ging die Gangbiegung links vor.
Als sie an
der Fensterreihe vorbei kam, warf sie einen Blick hinaus ins Freie. Dunkel und
knorrig zeichneten sich die Umrisse der nahen, kahlen Bäume ab. Der Himmel war
sternenklar. Ein kalter Wind pfiff in den nackten Wipfeln. Draußen sah es nach
Frost aus.
Die Schwester
passierte den dunklen Gang und sah unter dem Türspalt, daß im Zimmer Licht
brannte. Dr. Merredith arbeitete noch.
Sie klopfte
einmal kurz und leise, und wartete dann ab. Doch im Zimmer rührte sich nichts.
War der Arzt
so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er nichts hörte? Susy Wyngard klopfte ein
zweites Mal, diesmal stärker. Wieder nichts. »Dr. Merredith?« fragte sie leise,
während sie die Klinke drückte, um festzustellen, ob die Tür vielleicht von
innen verschlossen war. Es war schon vorgekommen, daß der Arzt über seiner
Arbeit am Schreibtisch eingeschlafen war. Das konnte unter Umständen jedoch
gefährlich werden, weil Dr. Merredith stark rauchte. In einer Nacht bis zu
zwanzig Zigaretten, wenn er konzentriert arbeitete.
Wie leicht
konnte es da zu einem Zimmerbrand kommen. Die Tür ließ sich öffnen. Susy
steckte vorsichtig den Kopf ins Zimmer. Im Ascher neben der ausgestreckten Hand
von Dr. Merredith lag eine bis zum Filter ausgebrannte Zigarette. Der
Aschestengel war nicht abgebrochen. Der Arzt lag vornübergebeugt. Er rührte
sich nicht. Vor sich hatte er eine Fachzeitschrift liegen und eine Schere, mit der
er offensichtlich einige Artikel herausgeschnitten hatte, um sie in einer Akte
abzuheften. Dr. Merrediths Rechte hielt etwas umfaßt. Susy beschloß, den Arzt
zu wecken. Er lag in einer so unbequemen Lage, daß sie das nicht länger mit
ansehen konnte. Als sie einen Schritt auf ihn zuging, stockte ihr Atem. Sie sah
erst jetzt den dunklen Fleck auf dem Oberarm des weißen Kittels genau an der
Stelle, wo Dr. Merrediths Kopf lag. Blut! »Dr. Merredith!« Wie ein Aufschrei
kamen die beiden
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