0883 - Labyrinth der Kugelhöhlen
das kabellose Teil wieder in die Ladestation zurück.
»Kein Freizeichen. Die Leitung ist tot, aber damit war zu rechnen. Wir müssen jetzt schnell sein. Los, geh Manja wecken. Schildere ihr die Lage.« Sie war ganz instinktiv in das vertrauliche Du gewechselt. Sie bemerkte Rolas Verblüffung.
»Was schaust du so überrascht? Wir haben mit so einer Situation schon lange gerechnet. Robert Tendyke und Artimus van Zant haben uns zwar nicht darüber informiert, dass sie gemeinsam den Kampf gegen dunkle Wesen und andere übersinnliche Dinge bestreiten, doch das mussten sie auch nicht. Mindestens die Hälfte der Kinder bei no tears können dir von Dingen berichten, die über jeden normalen Verstand hinausgehen. Den Rest konnten wir uns aus Andeutungen und eigenen Erlebnissen zusammenreimen.«
»Sie hätten es euch einfach sagen müssen. Und no tears hätte wirksam geschützt werden sollen.« Rola begriff van Zant und Tendyke nicht, doch Millisan schüttelte den Kopf.
»Die Kinder haben so schlimme und unbegreifliche Dinge erlebt, da sollte für ihr neues Leben bei uns alles absolut normal sein. Doch darüber zu spekulieren, was richtig, was falsch ist, fehlt uns die Zeit. Los - beeile dich. Manja weiß, was zu tun ist. Wir haben diesen Notfall oft genug durchgesprochen.«
Eine Sekunde später war Millisan Tüll wieder alleine in ihrem Zimmer. Sie musste sich noch einmal für kurze Augenblicke lang hinsetzen, denn ihre Beine zitterten. Sie hoffte nur, dass die junge Frau das nicht bemerkt hatte. Es war wirklich das eingetreten, was sie schon so lange befürchtet hatte.
Und wenn sie ganz ehrlich war, dann verfluchte sie van Zant und Tendyke in diesem Moment. DiBurn hatte ja Recht - no tears hätte eines mächtigen Schutzes bedurft. Die beiden Männer waren in ihrer Vorsicht gegenüber den Kindern einfach zu weit gegangen. Sie, Millisan, traf eine Mitschuld, denn immer wieder hatte sie es sich vorgenommen, dieses Thema offen anzusprechen.
Sie hatte es immer wieder verschoben.
Jetzt war es zu spät. Jetzt musste sie handeln. In Millisans Angst und Wut mischte sich tiefe Trauer. Peavey… der arme Junge hatte so entsetzlich sterben müssen. Tüll zog die Schublade ihres Nachtschrankes auf. Entschlossen nahm sie die Schatulle an sich, die dort seit langer Zeit lag.
Der Deckel ließ sich ganz leicht abnehmen. Er gab den Blick auf den reichlich unscheinbaren Inhalt frei - zwei schmale Dolche lagen in der Schachtel. Millisan schloss die Augen. Lächerlich! Wahrscheinlich würde der Vampir sich köstlich amüsieren, wenn Tull damit drohen wollte, doch was hätte sie anderes tun sollen? Zwei Klingen aus Eichenholz… selbst die hatte sie nur durch Zufall erstehen können.
Das Pfeifen im Sturm .. . David gegen Goliath… Panzer gegen Dreschflegel… aber Millisan war entschlossen, sich im Ernstfall mit den Dolchen vor ihre Kinder zu stellen.
Und dann würde sie ein paar Augenblicke früher als die anderen sterben…
Millisan Tull öffnete die Tür zum Gang. Noch war alles still, doch das würde sich bald grundlegend ändern.
***
Zamorra wünschte sich, dass Nicole jetzt an seiner Seite wäre.
Es hatte lange Minuten gedauert, in denen der Paromer über den Boden gekrochen war. Lange Minuten… doch schließlich hatte er sich aufgerichtet.
»Hier, der Zugang ist hier unter der Straße.«
»Sicher?« Van Zant schien überaus skeptisch zu sein, doch Vinca hatte sich entschieden. »Nichts ist wirklich sicher, Freund Artimus. Aber die Wahrscheinlichkeit ist genau hier am größten. Nichts erinnert hier daran, wie es früher einmal ausgesehen hat. Ich kann nur hoffen, mich nicht drastisch zu irren.« Sein Blick fand den Professor, der sich fragte, ob Vinca den Hohlraum unter ihren Füßen tatsächlich gehört hatte. »Wie können wir den Stein von hier verdrängen?«
Van Zant gab die nicht eben konstruktive Antwort. »Mit einem Caterpillar… oder einer ordentlichen Sprengladung.« Der Physiker blickte immer wieder zu dem Kokonmonument, das sich drohend in den Himmel Paroms bohrte.
Da war es wieder… dieses Gefühl, dass Dinge auf ihn einstürzten, die er nicht bewältigen konnte, nicht bewältigen wollte. Er dachte mit Wehmut an die wenigen Stunden, die Rola DiBurn und ihm in den vergangenen Tagen für eine Zweisamkeit geblieben waren, die er so oft und schmerzlich vermisst hatte. Nein, Artimus van Zant hatte nie den Helden in so einer Horroropera spielen wollen. Doch genau das schien nun seine Rolle zu sein.
Zamorra
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