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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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kann sich an mich erinnern, oder daran, dass ich gerade in dieser Schänke oft mit Fritz Haberland einen guten Rum getrunken habe, um unsere Expedition zu besprechen. Die Pension von Madame Golden Rose existiert nicht, hat angeblich nie existiert. Der englische Gesandte vor Ort, den ich aufgesucht habe, um ihm meine Geschichte zu erzählen, sah mich an, als sei ich im Dschungel vom Gelbfieber überfallen worden und phantasiere.
    Niemand glaubt mir, und niemand scheint sich dafür zu interessieren, was ich zu sagen habe. Aber warum nicht? Ich muss es erzählen, muss es tun. Ich muss nach London, dort wird man mir glauben. Man muss mir glauben. Ich muss es tun, ich muss es tun, muss es tun, MUSS ES TUN…
    ***
    »Du glaubst Rodrigo nicht«, sagte Nicole und ließ das alte Buch auf ihr Bett fallen. Eine Feststellung, keine Frage. Sie hatten sich für die Nacht auf ihre Zimmer zurückgezogen und Nicole hatte die Zeit genutzt, um ihr Studium des Reiseberichts zu beenden.
    »Sagen wir mal, ich bin skeptisch«, sagte Zamorra. Der Professor saß wieder an dem kleinen Holztisch und befasste sich mit seinem Laptop. Da es in ihrem Hotel W-LAN gab, wollte er im Internet nach Informationen über Connor McArdbeg suchen. »Und nach allem, was ich hier so lese, bin ich damit in guter Gesellschaft.«
    Mit wenigen Worten beschrieb er seiner Partnerin, was das WorldWide-Web über den schottischen Forscher ausgespuckt hatte. Es war nicht viel und wenig Gutes. McArdbeg war ein angesehenes Mitglied der Royal Geographie Society gewesen, hatte in den besten Kreisen des Englands im frühen Industriezeitalter verkehrt und einflussreiche Bekanntschaften genossen - bis zu seiner Rückkehr aus Honduras. Die Geschichte über aktive Maya-Kultisten, Geister und eine Jaguarkralle stieß in seinen Kreisen auf wenig Gegenliebe. Einen Scherz hätte man dem alten Connor durchaus verziehen, doch McArdbeg bestand darauf, die Wahrheit erzählt zu haben. Und je vehementer er seine Geschichte vertrat, desto schneller sank sein Ruf. Ohnehin durch die Folgen eines schweren Fiebers, das er sich wohl nach allgemeiner Ansicht nur in Mittelamerika geholt haben konnte. Nachhaltig geschwächt, verschlechterte diese Aufregung Connors angeschlagene Gesundheit weiter und wirkte sich - so behaupteten zumindest die Quellen - auch auf seinen Geisteszustand aus. Am Schluss war es sogar soweit gekommen, dass man ihn beinahe in eine Anstalt eingewiesen hatte.
    »Drei Jahre nach seiner Honduras-Reise verstarb McArdbeg auf seinem schottischen Anwesen«, schloss Zamorra seinen Bericht. »Seiner Haushälterin Mrs. Hudson zufolge erinnerte er sich in den letzten Tagen nicht einmal an die Namen seiner eigenen Kinder. Doch den Jaguar, den er in Honduras angeblich getroffen hatte, den vergaß er nie.«
    »Warum rufen wir nicht William an? Wer weiß, was uns der Computer zu Hause noch verrät?«
    »Das halte ich nicht für notwendig«, antwortete der Professor. »Noch nicht. Es gibt einige Theorien, die ich zuerst überprüfen will.«
    »Morgen?«, fragte Nicole und schlug die dünne Bettdecke zurück.
    »Morgen.«
    ***
    Achtundvierzig, dachte Zamorra, als ein weiterer Lichtstrahl über die dunkle Zimmerdecke wanderte. Achtundvierzig Autos, so lange lag er nun schon wach und starrte in die Dunkelheit, dachte nach. Zunächst hatte er einfach dagelegen und Nicoles Atemzügen gelauscht, dann war er dazu übergegangen, die an ihrem Zimmerfenster vorbeifahrenden Fahrzeuge zu zählen - erstaunlich, wie viel Nachtverkehr selbst in einer so kleinen Gemeinde wie San Jose noch herrschte. An eigenen Schlaf, das wusste Zamorra, war so schnell nicht mehr zu denken. Nicht, bis eine Entscheidung getroffen war. Zamorra mochte müde sein, doch sein Verstand lief auf Hochtouren und gönnte ihm keine Ruhepause.
    Der Professor dachte an Montejo, ihren vermissten Begleiter. An McArdbeg und dessen Notizen. Sollte der alte Schotte tatsächlich die Wahrheit gesagt haben? Eigentlich gab es keinen Grund für Zamorras Skepsis, eigentlich hatte er selbst schon genügend Dinge gesehen und erlebt, um auch fragwürdigeren Quellen zumindest den benefit of the doubt zu gewähren, den Vertrauensvorschuss. Im Zweifel für den Angeklagten. Was hatte Rodrigo noch gesagt, vorhin in den Ruinen? »Glauben Sie, dass er dem Jaguar zum Opfer gefallen ist?«
    »Mpfwas?« Nicoles verschlafene Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen.
    »Entschuldige, ich muss wohl laut gedacht haben«, flüsterte er sanft und drehte sich zu ihr

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