0885 - Die Kralle des Jaguars
um. »Schlaf einfach weiter.«
Doch sie gehorchte nicht und richtete sich stattdessen auf. »Und was machst du noch um diese Zeit?« fragte sie leise, ihr Blick plötzlich ganz wachsam und klar.
»Einen Ausflug planen«, antwortete er. »Vielleicht habe ich dem guten Connor McArdbeg Unrecht getan.«
»Wir fahren also nach Puerto Cortés? Das dachte ich mir schon.« Nicole gähnte herzhaft, drehte sich zur Seite und schloss erneut die Augen. Es dauerte nur wenige Sekunden, und ihr Atem ging wieder flach und regelmäßig.
Puerto Cortés, ganz genau, dachte Zamorra, während auch er endlich zur Ruhe fand. Fangen wir dort an zu suchen, von wo auch McArdbeg gestartet ist.
***
Das Klingeln des Telefons riss ihn unsanft aus dem Schlaf. Ein blond-weißer Schemen zog an seinen Augen vorbei, die sich nur mit Mühe an die plötzliche Helligkeit gewöhnen wollten.
»Ja, hier Duval.«
Zamorra ließ seinen Blick durch den vom Tageslicht durchfluteten Raum gleiten. Sämtliche Schränke und Kommoden schienen aufgerissen worden zu sein, die Schubladen waren leer geräumt. Hätte es die zwei prall gefüllt aussehenden Koffer in der Zimmermitte nicht gegeben, er hätte an Einbrecher geglaubt. Fragend schaute er zur Seite, wo Nicole am Nachttisch stand, in ein weißes Frotteehandtuch gehüllt, und leise auf den Fußboden tropfte. Dichte Nebelschwaden, die aus der geöffneten Badezimmertür drangen, ließen die Vermutung zu, dass sie vom Telefon unter der Dusche überrascht worden war. Zwanzig nach Sieben, blinkte ihm die Digitaluhr entgegen. Hatte Nicole etwa schon gepackt? Ohne ihn zu wecken?
Ihr Gesicht war dem Fenster zugewandt, und sie sprach betont leise. »Er ist was?!« Irgendetwas stimmte nicht. Mit einem Satz war Zamorra auf den Beinen und trat zu ihr. Als Nicole ihn sah, drehte sie den Hörer so, dass auch er mithören konnte. Es war Rodrigo.
»Wieder da, ja. Der Pförtner der Ruinenanlage hat ihn heute Morgen bei seinem Rundgang gefunden, auf dem Ballspielplatz. Man hat ihn sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Könnten Sie vielleicht…«
»Wir sind in 20 Minuten dort«, versicherte Nicole und sah Zamorra fragend an. Ihr Gefährte kannte ihren Tonfall, das klang dringend.
Er nickte noch bestätigend, während er schon aus dem Bett gesprungen war, um in seine Kleider zu fahren.
***
San Jose mochte klein sein, verfügte aber dennoch über ein gut ausgestattetes Krankenhaus - bei dem hohen Touristenaufkommen wohl eine Selbstverständlichkeit für die hiesigen Städteplaner. Den beiden Franzosen konnte es nur recht sein. Um Punkt acht erreichten sie die Intensivstation, und schon an der Tür spürte Nicole, das etwas nicht stimmte.
Rodrigo, der bei ihrem Eintreten von einem Stuhl aufstand und auf sie zukam, bestätigte ihre Befürchtung. »Er liegt im Wach koma«, sagte der drahtige Mexikaner mit hörbarem Bedauern. »Wie er auf den Ballspielplatz gekommen ist, oder was er um diese Zeit überhaupt schon auf dem Gelände machte, kann sich bisher niemand erklären. Und solange er sich in diesem Zustand befindet, wird er uns selbst nichts dazu sagen können.«
Zamorra war derweil zum Krankenbett getreten und blickte den Liegenden stumm an. Nicole sah, dass er Montejos Hand nahm und drückte, in der Hoffnung, dass der Kranke das mitbekam. Mit offenen Augen starrte der alte Akademiker ins Leere. Er schien gefangen in seiner eigenen Welt, und dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das keine angenehme. Nicole glaubte in seinen Zügen so etwas wie Panik zu sehen, schrieb dies aber ihrer Phantasie zu. Das Paranormale wer Teil ihres Alltags, aber oft war die einfachere, die rationalere Erklärung die richtige und zutreffende.
»Haben die Ärzte schon etwas gesagt?«, fragte sie, um sich von dem furchtbaren Gedanken abzulenken.
»Nur, dass sein Zustand stabil ist«, erwiderte Elian seufzend, »und wir uns keine allzu großen Hoffnungen auf eine Genesung machen sollten.«
»Ich frage mich, ob er in Mexico City nicht besser versorgt werden…«, murmelte der Professor.
»Oh, natürlich«, fiel ihm ihr Begleiter ins Wort. »Ich habe Javiers Verlegung bereits beantragt. Sofern sich seine Lage nicht drastisch verschlechtert, wird er Morgen nach Mexico City überführt. Ich werde ihn begleiten.«
Der Franzose nickte. »Das hatte ich gehofft.« Mit wenigen Worten beschrieb er Rodrigo, was er und Nicole vorhatten. Der junge Mann stimmte sofort zu. »Puerto Cortés? Das halte ich für eine gute Idee. Wir haben Javier Montejo
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