0886 - Der U-Bahn-Schreck
die auf den einfahrenden Zug warteten.
Auch andere Menschen drängten sich in unserer Nähe zusammen. Ein Halt würde immer nur sehr kurz sein. Das schnelle Ausund Einsteigen, dann war die Sache vorbei.
Wo kam der Zug?
Wir schauten nach links.
Noch war nichts zu sehen. Auf dem anderen Gleis gegenüber lief einer ein. Er zog meine Blicke an. Wir hörten die zischenden Geräusche, dann aber war es soweit.
Der Zug, auf den wir gewartet hatten, tauchte aus der Röhre auf.
Endlich!
Neben mir stand Maria. Sie betete…
***
Sarah Goldwyn hatte den Schrecken als eine unmittelbare Zeugin miterlebt. Die folgenden Sekunden kamen ihr vor, als liefen sie in einem Super Zeitlupentempo ab. Wahrscheinlich war ihr Gehirn noch nicht in der Lage, alles zu verdauen, aber es meldete ihr doch die Bilder, die sich abspielten, nur eben langsamer.
Es war kaum zu fassen. Der Verstand weigerte sich, den Schrecken voll aufzunehmen.
Der Typ mit der Mütze lag noch immer am Boden. Er bewegte sich nicht mehr, er schrie auch nicht. Er mußte bewußtlos geworden sein, aber er blutete weiter und durfte nicht zuviel von seinem wichtigen Lebenselixier verlieren.
Die anderen Fahrgäste waren erst durch seinen mörderischen Schrei aufmerksam geworden, und unter ihnen befanden sich die zahlreichen Kinder.
Auch ihnen konnte der Schrecken nicht erspart werden. Sie schauten hin, und Lady Sarah sah ihre Gesichter überdeutlich. Sie hatte sogar den Bindruck, als wären sie extra für sie getrennt worden, so daß sie die Angst und das Entsetzen auf jedem einzelnen genau wahrnehmen konnte. Schreie.
Verzerrte Gesichter.
Kinder, die sich abwandten.
Aber auch Erwachsene, die das Bild nicht vertragen konnten und aussahen, als würden sie nach Verstecken suchen.
Grauen überall!
Die beiden Lehrpersonen waren ebenfalls überfordert. Auch sie mußten mit dem Anblick zurechtkommen und sich dann um die Kinder kümmern, für die sie verantwortlich waren.
Lady Sarah fühlte sich wie vereist, denn die lebende Leiche, dieses widerliche Wesen, suchte seine Chance.
Es war eiskalt.
Ein kleines Mädchen in einem bunten und gefütterten Anorak stand dem Schauplatz des Geschehens am nächsten und hatte alles mitbekommen.
Es gelang ihm sogar, sich von dem Anblick loszureißen und sich umzudrehen. Dann suchte das Mädchen Schutz bei der Lehrerin.
Zwei Schritte kam es weit, die Arme schon vorgestreckt, wollte es sich gegen den Körper werfen, als Lucy Travers reagierte. Sie war viel schneller als die Kleine. Blitzartig beugte sie sich vor, streckte ihre Arme aus und faßte zu.
Die Kleine schrie, als die Arme sie umklammerten, zurückzerrten und damit weg von der Lehrerin holten. Das Kind ruderte mit seinen kurzen Armen, es schrie den Namen der Lehrerin, wobei die Stimme in dem allgemeinen Chaos unterging, und mit dem Kind auf dem Arm fuhr Tracy herum und starrte Lady Sarah an.
»Wage es nicht!« schrie sie. »Wage es nicht. Das Fleisch hier gehört mir, verstehst du?«
»Ja, ist schon gut!«
»Wunderbar!« keuchte die Person. »Das ist einfach wunderbar.« Sie lachte schrill, und Sarah Goldwyn war froh, daß das Kind auf dem Arm nicht mehr schrie. Die Angst hatte es stumm werden lassen.
Wie aber ging es weiter?
Es war simpel. Lucy hatte sich eine perfekte Geisel geholt. Und sie würde, wenn es darauf ankam, nicht zögern, das Kind mit den eigenen Händen zu töten.
Sarah Goldwyn unternahm einen letzten Versuch. Sie streckte Lucy einen Arm entgegen, eine bittende Geste. »Nimm mich als Geisel, und laß das Kind laufen.«
Das Monstrum schüttelte den Kopf. Es grinste. Der Mantel war verrutscht, auch das Kleid, so daß ihre Brüste beinahe freilagen. Auch dort zeichnete sich eine lange Naht ab. »Nein, nein, du wirst es nicht bekommen, denn du bist mir sicher, Sarah. Sehr sicher.«
»Warum? Ich…«
»Du kommst mit!« brüllte das Wesen. »Verdammt noch mal, du kommst mit!« Ihre Stimme übertönte alle anderen Geräusche. Zudem war das Entsetzen so groß, daß die Menschen schwiegen.
Sarah nickte.
Sekunden verrannen. Auch die längste Fahrt ging einmal zu Ende. Die Horror-Oma sah bereits die Station als Lichtinsel vor sich.
Plötzlich fing Sarah an zu zittern. Der Wagen samt seinem Inhalt verschwamm vor ihren Augen. Sie hielt den Mund weit offen, um einatmen zu können, denn das blanke Entsetzen hatte ihre Kehle zugeschnürt.
Bisher war sie relativ souverän gewesen, aber auch sie war nur ein Mensch und kein Roboter.
Sie hatte Gefühle…
Der
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