0891 - Geschenk der Götter
abzweigenden und sich vereinigenden Gangstücke fertig, die Kammer und den diametralen Gang, der im Südwesten an der Pyramidenkante endete. Noch war kein einziges Stück der Kalksteinverkleidung angebracht worden; eine Unmenge von Tausenden einzelner Blöcke lag aufeinandergeschichtet da. Auch der eigentliche Eingang zur Grabkammer des Gottkönigs war bereits angelegt. „Du hast recht", sagte Ranofer und sah staunend, daß zwei riesige Krüge voller gepreßtem Sand tatsächlich einen mächtigen Quader trugen. „Unsere Modelle sind ständig größer geworden, und immer sank der Block genau senkrecht abwärts. Ich danke dir, daß ich bei dir dies lernen darf, Menketre."
Vor ihnen befanden sich Teile der Versuchsanlage in Originalgröße. Zwischen zwei an den jeweiligen Innenseiten sorgfältig geglätteten Blöcken standen zwei riesige Tonkrüge. Der Ton war mit Harzen, Ölen und gewissen feingeriebenen Erden vermischt worden. Keiner der Baumeister wußte, warum er genau diese Menge jenes Materials in den Ton mischen ließ - abermals war es, als ob die Götter ihnen die Geheimnisse zuflüsterten.
Auf der Oberkante der Krüge lagerte ein Block Sandstein, der genau in den darunterliegenden Raum hineinpaßte. Falls er senkrecht herunterglitt und nicht im Gleiten verkantete. Seine Seitenflächen waren mit einem Gemisch aus tierischem Fett, Öl und feinem Mehl eingestrichen. „Wenn dieser hoffentlich letzte Versuch glückt, können wir beruhigt sein. Der feierliche Akt des Pharaos wird dann ohne Störung vor sich gehen können."
Menketre nickte Hesirä zu, der neben ihm auf einem Polster in der gewöhnlichen Haltung eines Schreibers kauerte und seine Tafel auf den Knien hatte. „Ich werde ihm davon berichten!" meinte Hesirä und lächelte. Auch er hatte den Blitz des Göttergeschenks gespürt und verwendete für seine Aufzeichnungen eine Schnellschrift, die er fast so geläufig schreiben konnte, wie ein Mensch sprach. „Er wird's mit Interesse vernehmen!" gab der Baumeister zurück.
Auf dem mittleren Block lag ein riesiger Felsen. Er entsprach dem Gewicht, das nach Fertigstellung der Pyramide auf den Krügen lasten würde. Sie hatten es genau berechnet. Es gab keinen Zweifel. Trotzdem fürchteten sie, ein Riß in einem Krug oder eine andere Zufälligkeit könnte ihnen die Sicherheit nehmen.
Ranofer hob die Hand. „Schickt den freiwilligen Zertrümmerer in den Gang!" rief er.
Der Gang, gebildet aus zwei Reihen von jeweils sieben Quadern, war drei Ellen breit und dreieinhalb Ellen hoch. Ein großer Mann konnte gerade hindurch, ohne mit dem Scheitel die Unterseite der Blöcke zu streifen. „Ich komme!"
Sie warteten mit angehaltenem Atem. Der wichtigste Teil der Prüfung begann jetzt. Ein schlanker, aber wendiger und starker Mann mit einem schweren Kampfbeil in beiden Händen rannte am anderen Ende in den Gang hinein, wirbelte um den ersten Krug herum und führte einen wuchtigen Schlag.
Als er fast den zweiten Krug erreicht hatte, zerbarst der erste. Der Mann umrundete geschickt den zweiten Krug und schlug mit aller Kraft zu. In einem System von langen Rissen löste sich auch der andere Behälter auf. Dann sprang der Zertrümmerer aus dem Gang heraus, drehte sich sofort herum und ließ die Axt in den Sand sinken.
Ein knirschendes Ächzen ertönte.
Die Trümmer der beiden Krüge und der Sand wurden nach allen Seiten geschleudert. Es dauerte mehrere Augenblicke lang, bis der Felsblock genau senkrecht in den freigewordenen Raum glitt. Das Fett an seinen Seiten verringerte den Widerstand der Reibung.
Die Trümmer des Kruges und der freigewordene Sand wurden zunächst am Boden des aufgefüllten Zwischenraums zusammengepreßt, zermalmt und in eine weiche Masse verwandelt, die in den Ecken zwischen Boden und Seiten nach vorn und hinten hinausgepreßt wurde. Sie wirkte nicht wie Sand, sondern wie Honig.
Dann ging ein letztes Zittern durch den heruntergesunkenen Block, und das Felsgewicht auf ihm wankte nur unmerklich.
Mit einem erleichterten Stöhnen stieß Menketre die Luft aus. „Nut sei Dank! Geschafft, Ranofer! So werden wir es bauen. So und nicht anders!" rief er unterdrückt. „Die Kammer in der Mitte des unteren Drittels wird für alle Zeiten auf diese Weise versiegelt werden."
Ranofer strahlte. Schon jetzt hatte er als rechte Hand und als Zweiter Verantwortlicher mehr Ehren eingeheimst, als viele bessere Männer ihr ganzes Leben erfahren hatte. „Der Pharao wird euch gebührend belohnen!" sagte Hesirä
Weitere Kostenlose Bücher