0893 - Der Atem des Bösen
den untersuchenden Arzt erklärt hatte, gab es äußerlich - bis auf die Umstände des Todes - keine Außergewöhnlichkeiten festzustellen. Simon Kennedy war definitiv tot, er hatte keinen Puls mehr, und das Blut kreiste nicht mehr in seinen Adern, sondern hatte sie mit einem zähen, vielfach gewundenen Pfropfen versiegelt.
Zamorra trat zwei Schritte zurück und besah sich noch einmal das Gesamtbild des Grauens.
Ein Mann, dessen Kopf in einem irrealen Schmiedefeuer nicht nur bis zur Halskrause feststeckte, sondern das ihn auch wahrhaftig verbrannt hatte… es war und blieb der merkwürdigste Anblick, der ihm je untergekommen war.
Und noch immer meldete das Amulett vor Zamorras Brust verhaltene Aktivität. Er hatte das Hemd bis zum Nabel aufgeknöpft und ließ seine Finger in tausendfach geübter Routine über die erhabenen Symbole gleiten.
Verschob sie in genau kalkulierter Reihenfolge.
Seine Absicht hatte er weder mit Nicole noch mit Hogarth oder dem Direktor des Tate abgesprochen. Andererseits wusste er nicht, was näher gelegen hätte als dieser Versuch, das bedauernswerte Opfer endlich aus seiner misslichen Lage zu befreien…
Aus Merlins Stern löste sich ein gleißender, rubinroter Schimmer, der auseinander fächerte und Simon Kennedy bereits eine Sekunde später wie der elektrisch surrende Strahl eines verborgenen, hochauflösenden Scanners abtastete.
Zamorra hatte die Augen leicht zusammengekniffen, aber offen gelassen. Die Lichtflut war erträglich, und er wollte keinen Moment lang die Kontrolle über den Prozess verlieren…
Plötzlich bewegte sich Kennedys Leichnam. Leichte Zuckungen durchliefen seine Gliedmaßen. Es sah aus, als löste sich die gesamte Anspannung, die seinen Körper im Moment des Sterbens hatte verkrampfen lassen.
Und dann, mit einem gespenstischen letzten Seufzer gab das Gemälde den Kopf des Opfers frei, sodass Kennedy schlaff an seiner Oberfläche entlang zu Boden rutschte - wo er liegen blieb, mittlerweile wieder völlig reglos. Die Zuckungen waren abgeklungen. Das geschwärzte Gesicht eines Mannes, der im Fegefeuer der Hölle gebraten hatte, starrte Zamorra aus verdorrten Augen entgegen.
Dessen Blick aber verweilte nur kurz auf den dunklen, entstellten Zügen Kennedys, dann wanderte er höher zu der Stelle, die den Toten über Stunden hinweg festgehalten hatte…
... und wo jetzt ein Loch gähnte, das weit über die Wand hinter dem Gemälde hinauszugehen und dabei nicht einmal die Schranken von Raum und Zeit zu respektieren schien ...
***
Die Befragung des Arztes hatte nichts nennenswert Neues erbracht. Doch nun führten Hogarth und Brunswick Nicole in einen weiteren Ausstellungssaal - und schlagartig gewann die Nacht an neuer Skurrilität.
Was genau an dem Raum nicht stimmte, den Nicole betrat, wurde ihr auf Anhieb allerdings gar nicht bewusst. Zunächst sah sie nur zwei Männer in Wächterlivree, von denen einer wie ein Häuflein Elend auf einem gepolsterten Besucherwürfel saß. Der andere stand, hatte seine Hand auf die Schulter des Kollegen gelegt und redete in offenkundig beruhigender Absicht auf ihn ein.
Viel Erfolg schien ihm damit nicht beschieden zu sein. Der Sitzende raufte sich immer wieder das Haar oder drehte hektisch die Mütze zwischen den Händen, die Bestandteil seiner Uniform war.
»Malfoy Cummings«, raunte Brunswick Nicole zu, während sie auf die beiden Männer zuhielten, die sie erst bemerkten, als sie schon fast bei ihnen waren. »Das ist Malfoy Cummings.«
Aha, dachte sie, während der Sitzende vor ihnen nervös aufsprang. Er wirkte wie das personifizierte Schuldbekenntnis, und allmählich wurde Nicole doch neugierig, was er um Himmels willen denn Furchtbares ausgefressen haben sollte. Weder Brunswick noch Hogarth waren bislang damit herausgerückt.
»Ich schwöre Ihnen, Mister Brunswick, es wird nie wieder vorkommen! Bitte, feuern Sie mich nicht. Ich… ich weiß selbst nicht, was da in mich gefahren ist. Den Bildern ist nichts passiert, Sie sehen ja selbst…«
»Seien Sie still, Cummings! Darüber unterhalten wir uns später. Sie werden nicht erwarten, dass ich Ihnen das durchgehen lassen kann…« Brunswick blieb vor dem Wächter stehen und zeigte auf Nicole. »Das ist Nicole Duval. Erzählen Sie ihr, wie Sie Kennedy fanden - und erzählen Sie ihr auch, wobei sein Todesschrei Sie gerade störte.«
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, stand der Direktor wie ein Richter vor Cummings, der den Angeklagten noch ein wenig zappeln ließ, ehe
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