0893 - Der Atem des Bösen
es Raffles selbst manchmal nicht ganz so gut ging - seine Frau konnte einem schon die Hölle heiß machen wirkten die Wortwechsel mit Corben seltsam beruhigend auf ihn.
Auch heute überlegte er kurz, bei dem Häftling »anzuklopfen«. Vielleicht schlief er ja nicht wie alle anderen (was eigentlich so gut wie nie vorkam - diese umfassende Ruhe, in der der ganze Trakt versunken zu sein schien), und vielleicht…
Nein, entschied Raffles. Ihm war nicht nach Reden, nicht heute Nacht. Nachdem er eine halbe Minute innegehalten hatte, setzte er seine Runde fort.
Weit kam er nicht, bis ihn die Schreie einholten.
Die Schreie, die den schon vermissten Lärm aus den anderen Zellen so abrupt zurückholten, als hätte jemand einen Vorhang durchschnitten, der alles erstickt hatte.
Für ein, zwei Atemzüge war Raffles wie gelähmt. Fast mehr noch als die schrecklichen Schreie erschütterte ihn, dass ihn das Gefühl überkam, in den umgebenden Zellen habe nie Stille geherrscht. Die Geräusche, die ihn sonst auf jeder Runde begleiteten, schienen wahrhaftig nur von etwas… zurückgehalten worden zu sein…
Jetzt fange ich schon an zu spinnen! Paula hat mich gewarnt, aber ich wollte ja nicht auf sie hören.
Er überwand seine Starre und hetzte dem Ursprungsort der qualvollen Schreie entgegen. Als ihm klar wurde, dass sie ausgerechnet aus Len Corbens Zelle drangen, übersprang sein Herz einen Takt. Nervös nestelte Raffles den Schlüssel hervor und zwang ihn im diffusen Schein der Gangbeleuchtung ins Schloss.
Aber noch bevor er aufsperrte, erstarb das Geplärre abrupt.
Und als der Wärter endlich eintrat, die Laterne in den Raum hielt, in dem der Gefangene schmorte…
... traf es Raffles wie eine Stahlfaust in die Magengrube.
Für Sekunden verschwamm das Bild, das sich ihm bot, vor seinen Augen.
Und dann fing er selbst an zu schreien - weil Len Corbens Körper zur Hälfte in der gegenüberliegenden Wand steckte, als wäre er mit ihr verschmolzen… während das, was noch von ihm herausragte, geisterhaft glomm…
5.
Gegenwart
Die Rückkehr ins noble Barbican hatte etwas von einer verlorenen Schlacht, nach der die müden Kämpfer sich die Wunden lecken mussten… bevor sie ins nächste Gefecht zogen.
Zamorra hatte Hogarth eindringlich ersucht, das Tate Britain komplett von allen Bediensteten zu räumen und stattdessen einen Kordon um das Gelände zu ziehen. Nach seinem Ratschlag und Dafürhalten sollte der Publikumsverkehr komplett von dem Museumsgelände fern gehalten werden, bis die Ursache der tödlichen Vorfälle restlos geklärt und beseitigt worden war.
Brunswick, der sich leidlich erholt zu haben schien, hatte den Appell zwar gehört, doch ließ der Farbwechsel seines Gesichts kaum einen Zweifel, dass er eine solche Maßnahme für vollkommen übertrieben und in jeder Beziehung schädlich hielt. Trotzdem hatte er sein »Allerheiligstes« verlassen und war nach Hause gefahren.
Hogarth hatte versprochen, die erforderlichen Schritte mit seiner vorgesetzten Stelle im Yard abzustimmen und bis zum Morgen eine Entscheidung zu fällen.
»Ich bezweifle«, sprach Nicole Zamorras eigene Befürchtung offen aus, als sie ihr Zimmer im Hotel betraten und sich erst einmal nebeneinander auf das breite Bett fallen ließen, »dass Brunswick den Ernst der Lage begriffen hat.«
Dem konnte Zamorra nicht viel entgegenhalten, wollte es auch nicht, da seine eigenen Überlegungen in eine ganz ähnliche Richtung gingen. »Bleibt nur zu hoffen, dass das Yard es begriffen hat«, sagte er. »Übrigens habe ich Hogarth noch eine zweite Nuss zu knacken gegeben.«
Sie drehte ihm das Gesicht zu. »Welche?« Sie streckte die Hand aus und strich ihm über das Gesicht. Er genoss die kleine Zärtlichkeit und spürte zugleich, wie müde er war. Aber sie sah mindestens ebenso erschöpft aus. »Hat es etwas mit dem Speicherstick zu tun, den du im Tate bekommen hast?« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung in die Richtung, wo er seinen Mantel aufgehängt hatte.
»In der Tat.« Er nickte.
»Muss ich dich erst foltern, um Näheres dazu zu erfahren?«
»Ich steh auf deine Foltermethoden.«
»Ja.« Sie lächelte. »Das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Brunswick war so freundlich, mir eine Liste seiner Angestellten mitzugeben - der aktuellen und der aus dem Dienst ausgeschiedenen. Und zwar über die letzten zwanzig Jahre.«
»Was versprichst du dir davon?«
»Auffälligkeiten.«
»Und Hogarth? Was hat er damit vor?«
»Er gleicht sie
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