0893 - Der Atem des Bösen
warf.
»Das… das…«
»Was ist mit Ihnen?« Zamorra trat vor den schmächtigen Mann, fasste ihn an den Schultern und schüttelte ihn zwei, drei Mal kräftig. »Kennen Sie die Tätowierung? Wissen Sie, warum Ihr Kollege sich so verschandelt hat? Das hat er doch selbst getan, oder?«
Malfoy Cummings zuckte hilflos die Achseln. »Weiß… weiß ich nicht. Seh's ja auch zum ersten Mal…«
»Und was macht sie daran so fertig? Dass das Motiv zeigt, in was der Tote sich vorhin vorübergehend verwandelte?«
Cummings schüttelte so heftig den Kopf, dass man Angst haben musste, der dürre Hals könnte umknicken. »Das Motiv!« Falls es möglich war, wurden seine Augen noch größer.
»Ich weiß. Es zeigt…«
Cummings packte Zamorra plötzlich am Kragen. Zuerst vermutete der Professor einen Angriff, aber dann wurde ihm klar, dass der Angestellte des Museums sich nur nicht anders zu helfen wusste, um Zamorra die Brisanz seiner Entdeckung begreiflich zu machen.
»Schon gut, schon gut, beruhigen Sie sich. Was ist los? Was lässt Sie so außer sich geraten?«
Cummings löste unvermittelte die Hände von Zamorras Hemdstoff. Für ein paar Sekunden stand er mit hängenden Schultern vor dem Professor, dann gab er sich einen Ruck. »Kommen Sie. Kommen Sie mit…«
»Wohin?«
Cummings hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Hogarth wollte einschreiten, doch Zamorra bedeutet ihm, sich zurückzuhalten.
»Kommen sie nur. Kommen Sie schnell…«
Der Museumswächter eilte aus dem Saal.
»Also, ich weiß nicht…«, setzte Nicole an. Doch Zamorra war entschlossen, sich das, was Cummings ihm zeigen wollte, anzusehen.
Er folgte ihm in einen benachbarten Flügel des Tate.
Und fand die Kröte, die Carl Christie als Vorbild gedient hatte.
***
Wieder war es ein Gemälde - oder der Fluch eines solchen. Es stammte von einem zeitgenössischen Künstler namens Gottfried Brockmann und hatte eine Erdkröte zum Motiv, die in ihrer ganzen Darstellung und Haltung unleugbare Ähnlichkeit mit dem stümperhaften Tattoo aufwies, das sich auf dem Körper des toten Museumswächters befand.
»Gehört dieser Saal…« Zamorra machte eine umfassende Handbewegung. »… zu Carl Christies Zuständigkeitsbereich?«
»Er gehörte «, erwiderte Malfoy Cummings düster und wortkarg zugleich. Dabei zitterte er wie Espenlaub.
»Das alles ergibt doch keinen Sinn!«, begehrte Hogarth, der ihnen gefolgt war, auf. Zum ersten Mal sah Zamorra ihn um seine Fassung ringen.
»Sie meinen, dies alles weicht entschieden von dem ab, was Menschen allgemein als ›die Normalität‹ bezeichnen«, erwiderte Zamorra ruhig. »Das ist ein Unterschied.«
Hogarth schluckte und schwieg.
»Es wird Brunswick nicht gefallen«, sagte Zamorra, »aber ich halte es nicht für ratsam, das Tate wieder für den Publikumsverkehr zu öffnen, bevor nicht die Ursache all dieser Abnormitäten beseitigt wurde.«
»Er wird uns umbringen«, brummte Hogarth.
»Das werden wir überleben.«
Den Mund des Detectives umspielte ein feines Lächeln. Offenbar war das die Art von Humor, die er zu schätzen wusste.
4.
London,1889
Millbank Penitentiary
Len Corben sog die feuchtkalte Luft der Gefängniszelle in sich ein. Sie kitzelte tief in seinem Rachen, als wollte sie ihn zum Husten reizen, aber diesen Impuls unterdrückte er. Er genoss die seltene Stille, die ihn umgab und die er nicht gefährden wollte.
Eine geradezu unnatürliche Stille, verglichen mit dem sonst nicht abreißen wollenden Lärm, der die Anstalt zu jeder Tages- und Nachtzeit durchdrang. Irgendjemand schnarchte, stöhnte, sprach, schrie, brüllte, trampelte immer , hämmerte mit den Fäusten oder zerschlug spärliches Mobiliar…
Das Dasein im Millbank glich einem höllischen Albtraum…
… den ich mir selbst zuzuschreiben hab. Hätt ich meine Kleine nicht so lange geschüttelt, bis sie keinen Mucks mehr von sich gab…
Für einen quälenden Moment wehrte er sich nicht gegen die Bilder, die in ihm aufstiegen. Es war sechzehn Jahre her, aber sie waren immer noch so klar, als hätte er seine fleischigen Hände gerade erst gestern um den schlanken Hals seines Weibes geschlossen und ihr das Leben herausgequetscht.
Pest und Cholera! Er fuhr von der Pritsche auf. Mit dem Genießen der Ruhe war es schlagartig vorbei. Die Matratze knarrte, und spätestens Lens Keuchen vertrieb auch den letzten Rest der so perfekten Stille. Laut trommelte das Herz in seiner Brust, und in seinen Ohren schwoll das Rauschen seines eigenen
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