0894 - Im Würgegriff der Wachsfiguren
wollten uns ein wenig umschauen, nicht mehr und nicht weniger. Wissen Sie, Bristol kennt jeder, aber Weston ist die große Unbekannte. Auch uns war sie nicht bekannt, und deshalb wollten wir uns die Gegend ansehen, um dann direkt in die City zu fahren.«
Hulster nickte Suko zu. »Dann haben Sie aber Zeit gehabt.«
»Wir nahmen sie uns.«
Ich räusperte mich und erinnerte den Kollegen daran, daß er gerade von gewissen Gründen gesprochen hatte, deren Zusammenhang wir gern erläutert hätten.
»Tja«, murmelte Hulster und knetete dabei sein kleines Kinn. »Das sind in der Tat Probleme, kann ich Ihnen sagen. Gar nicht mal so leicht zu lösen.«
»Versuchen Sie es.«
»Ich habe Ihnen von zwei Toten berichtet.«
»Stimmt.«
»Es gibt da noch einen dritten Toten. Oder ein drittes Etwas, denn von einem Toten kann man nicht reden.« Er lachte blechern. »Wissen Sie, ich wundere mich selbst, daß ich Sie darin einweihe, obwohl ich Sie erst wenige Minuten kenne, aber wegen dieses Phänomens bin ich noch hier und auch die Kollegen von der Spurensicherung.«
Wir hatten genau zugehört, und ich sagte: »Dieser dritte Tote scheint Ihnen wohl wichtiger zu sein als die ersten beiden, wenn man Sie so reden hört.«
»Da haben Sie recht.«
»Und was ist an ihm so ungewöhnlich?«
Hulster holte laut Luft. »Wir haben ihn gefunden. Oder vielmehr das, was von ihm zurückgeblieben ist. Ein Mensch ist es nicht, Mr. Sinclair. Es kann aber mal ein Mensch gewesen sein.« Der Kollege schüttelte den Kopf. »Aber das kommt auch nicht hin. Ich würde eher sagen, daß er ein Phänomen ist.«
Ich nickte ihm zu. »Okay, sehen wir uns dieses Phänomen am besten einmal an.«
»Wie Sie meinen.«
»Finden wir es im Haus?«
»Ja, bestimmt.« Er zögerte noch einen Moment. »Na ja, Sie werden es selbst sehen.«
»Wir sind gespannt.«
Hulster drehte sich um und ging vor uns her auf den rußgeschwärzten Eingang zu. Der Rauch war rechts und links durch die Höhle gekrochen, er hatte sich mit seinen langen Fahnen an der Hauswand breitgemacht und dort die schwarzen Schatten hinterlassen. Sie klebten dort regelrecht und waren so leicht nicht mehr wegzuwischen. Irgendwie paßte diese Ruine in diese Gegend, die aussah, als wäre sie zum Sterben verurteilt.
Der scharfe Geruch im Innern des Hauses drang in unsere Nasen. Hulster nickte einem Mann von der Feuerwehr zu, der in sein Diktiergerät sprach, ging vor bis zu einer nicht eben sicher aussehenden Treppe und drehte sich vor der ersten Stufe zu uns um. »Sie können sich darauf verlassen, daß die Treppe hält. Zumindest mein Gewicht wird sie aushalten, dann wird sie es bei Ihnen auch schaffen.«
»Das hoffen wir auch.«
Der Kollege ging vor. Er watschelte die Stufen hoch, auf denen das Feuer ebenfalls seine Spuren hinterlassen hatte. Das Treppenhaus stank entsetzlich. Unsichtbare Reizgase schienen in die Höhe zu steigen. Nur mühsam unterdrückte ich ein Husten.
»Wie hoch müssen wir denn?« fragte Suko.
»In die letzte Etage, aber zur Belohnung können Sie den Himmel sehen.«
»Wie tröstlich.«
»Das meine ich auch. In dieser verdammten Welt braucht man hin und wieder einen Trost.« Hulster blieb stehen und drehte sich um. »Wissen Sie, was ich heute im Radio gehört habe? Sie gaben die Nachricht in einer Boulevardsendung durch.«
»Haben wir nicht.«
Hulster rieb seine Hände. Er war ein wenig kurzatmig geworden. »Da hat ein Taxifahrer aus London in der Lotterie den Hauptgewinn gewonnen. Eine Million Pfund. Das müßte mir auch mal passieren. Da hätte ich für den Rest des Lebens ausgesorgt.«
»Wer hätte das nicht?«
»Klar, Suko, klar.« Er hob die Schultern und ging weiter.
Je höher wir kamen, um so dichter und intensiver wurde der Gasgeruch.
Er schien sich in den Wänden festgefressen zu haben. Wir husteten zu dritt, Hulster schimpfte wieder, dann hatten wir die oberste Etage erreicht, und aus den Löchern der Türöffnungen strömte es scharf und beißend hervor.
Es lag daran, daß der Dachstuhl völlig zerstört worden war.
Ein verkohlter Haufen lag auf dem Boden. Asche und Holzkohle. Der Wind pfiff hinein und wirbelte die staubleichte Holzkohle in die Höhe. An manchen Stellen sah es so aus, als tanzten schwarze Schneeflocken in der Luft.
Ich stellte mich neben Hulster. »Und hier sollen wir die dritte Leiche finden?«
»Ja, sie war zusammen mit der zweiten.«
»Aha.«
»Wo denn?« wollte Suko wissen.
»Kommen Sie mit.« Hulster ging nach rechts. Wieder
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