Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
jeder Falte, und der Saft reifer Tomaten sprenkelte den Stoff wie Blut. Im Spiegel sah sie, daß ihr Gesicht schmutzverkrustet war und ihr Haar - zerzaust, voller Spinnweben, Raupen und Blätter - sah schlimmer aus als das einer ungewaschenen Zigeunerin.
    Es war ihr gleich. Das Recht war auf ihrer Seite. Ganz gleich, was sie tat, das Recht war immer auf ihrer Seite. Und das Mal, das Wardahs Schlag in ihrem Gesicht hinterlassen hatte, würde das bezeugen.
    Yumn wusch sich den Schmutz von Wangen und Stirn. Sie spülte ihre Hände und ihre Arme. Sie tupfte ihr Gesicht mit einem Handtuch ab und musterte sich noch einmal im Spiegel. Sie sah, daß Wardahs Schlag verblaßt war. Sie begann sich selbst ins Gesicht zu schlagen, bis ihr Gesicht zu brennen begann und ihre Wange hochrot war.
    Dann ging sie in das Schlafzimmer, das sie mit Muhannad teilte. Vom Korridor aus konnte sie die beiden unten hören: Muhannad und seine Mutter. Wardahs Stimme hatte schon wieder diesen heuchlerischen Ton weiblicher Unterwürfigkeit, den sie stets anschlug, wenn sie mit ihrem Sohn oder ihrem Mann sprach. Muhannads Stimme war ... Yumn lauschte angestrengt. Sie runzelte die Stirn. Seine Stimme hatte einen Klang, wie sie ihn nie gehört hatte, nicht einmal in ihren intimsten Momenten, als sie gemeinsam zum erstenmal ihre neugeborenen Söhne betrachtet hatten.
    Sie fing einige Worte auf. »Ammi-jahn ... niemals weh tun ... wollte nicht ... die Hitze ... entschuldigen und Wiedergutmachung leisten.«
    Entschuldigen? Wiedergutmachung leisten? Yumn überquerte den Korridor und ging ins Schlafzimmer. Sie knallte die Tür so heftig hinter sich zu, daß die Scheiben in den Fenstern klirrten. Sollten sie doch versuchen, sie dazu zu bringen, sich zu entschuldigen. Wieder begann sie sich ins Gesicht zu schlagen. Sie zog ihre Fingernägel über ihre Wangen, bis Blut unter ihnen hervorquoll. Er würde ja sehen, wie schrecklich seine geliebte Mutter seine Frau mißhandelt hatte.
    Als Muhannad ins Zimmer kam, hatte sie ihr Haar gekämmt und wieder geflochten. Mehr hatte sie nicht getan. Sie saß an ihrem Toilettentisch, wo das Licht so auf sie fiel, daß er die Verletzungen, die seine Mutter ihr zugefügt hatte, sofort sehen mußte.
    »Was soll ich denn tun, wenn deine Mutter mich angreift?« rief sie, noch ehe er etwas sagen konnte. »Soll ich mich von ihr umbringen lassen?«
    »Halt den Mund«, versetzte er. Er ging zur Kommode und tat etwas, was er im Hause seines Vaters niemals zu tun pflegte: Er zündete sich eine Zigarette an. Er blieb vor der Kommode stehen, ohne sie anzusehen, und während er rauchte, preßte er die Finger einer Hand an seine Schläfe. Er war am Vormittag unerwartet aus der Fabrik nach Hause gekommen. Doch anstatt mit den Frauen und Kindern zu Mittag zu essen, hatte er die nächsten Stunden am Telefon verbracht, hatte Gespräche in gedämpftem, drängendem Ton geführt. Offensichtlich war er noch immer ganz bei seinen geschäftlichen Angelegenheiten. Aber so beschäftigt sollte er nicht sein, daß er gar nicht bemerkte, was seine Frau erlitten hatte. Während er ihr den Rücken kehrte, kniff Yumn sich so stark in die Wange, daß ihr die Tränen in die Augen schossen. Er mußte sehen, wie brutal sie mißhandelt worden war.
    »Sieh mich an, Muni«, forderte sie. »Sieh dir an, was deine Mutter getan hat, und dann sag mir, daß ich mich nicht verteidigen darf.«
    »Ich hab' gesagt, du sollst den Mund halten. Und so hab' ich's auch gemeint. Halt endlich den Mund.«
    »Ich halte den Mund erst, wenn du mich ansiehst.« Ihre Stimme schwoll an, wechselte die Tonart. »Ich habe es an Respekt fehlen lassen, aber was soll ich denn deiner Meinung nach tun, wenn sie mich angreift? Soll ich mich nicht schützen? Soll ich nicht das Kind schützen, das ich vielleicht in diesem Moment schon in mir trage?«
    Dieser Hinweis auf ihr wertvollstes Gut, ihre Gebärfreudigkeit, zeitigte endlich die erwünschte Reaktion. Muhannad drehte sich herum. Ein schneller Blick in den Spiegel zeigte ihr, daß ihre Wange angemessen rot und blutverkrustet war.
    »Ich habe nur bei der Arbeit in den Tomaten etwas falsch gemacht«, sagte sie, »das kann bei dieser Hitze doch leicht passieren, und da hat sie angefangen, mich zu schlagen. Soll ich in meinem Zustand« - hier legte sie beide Hände unter ihren Bauch, um ihn zu ermutigen zu glauben, was er wollte - »nichts tun, um das Ungeborene zu schützen? Soll ich es mir gefallen lassen, daß sie ihre ganze Wut und

Weitere Kostenlose Bücher