09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
brach das Siegel. Als er die Unterschrift sah, vergaß er sofort die Prügel, die er von Rasselhemd bezogen hatte.
Ramsay Bolton, Lord von Hornwood, stand da in riesigen eckigen Buchstaben. Die braune Tinte löste sich in Flocken, als Jon mit dem Daumen darüberstrich. Unter Boltons Unterschrift hatten Lord Staublin, Lady Cerwin und vier Ryswells unterzeichnet und ihre Siegel angebracht. Eine ungeübte Hand hatte den Riesen des Hauses Umber hinzugefügt. »Dürfen wir erfahren, was darinsteht, Mylord?«, fragte der Eiserne Emmett.
Jon sah keinen Grund, es ihm nicht zu verraten. »Moat Cailin wurde eingenommen. Die gehäuteten Leichen der Eisenmänner wurden an Pfähle entlang des Kingsroads genagelt. Roose Bolton ruft alle treuen Lords nach Barrowton, um dort ihren Eid auf den Eisernen Thron zu bekräftigten und die Hochzeit seines Sohnes zu feiern, und zwar mit …« Einen Augenblick lang schien sein Herz stillzustehen. Nein, unmöglich. Sie ist in King’s Landing gestorben, zusammen mit Vater.
» Lord Snow?« Clydas betrachtete ihn aufmerksam aus seinen trüben rosa Augen. »Geht es Euch … nicht gut? Ihr seht aus, als …«
»Er wird Arya Stark heiraten. Meine kleine Schwester.« Jon konnte sie geradezu vor sich sehen, staksig, mit krummen Knien, spitzen Ellbogen, Schmutz im langen Gesicht und wildem Haar. Das Gesicht konnte man waschen, die Haare kämmen, gewiss, aber er konnte sich Arya nicht im Hochzeitskleid vorstellen und auch nicht in Ramsay Boltons Bett. Wie viel Angst sie auch haben mag, sie wird sie nicht zeigen. Wenn er versucht, Hand an sie zu legen, wird sie gegen ihn kämpfen.
» Eure Schwester?«, fragte der Eiserne Emmett. »Wie alt ist …«
Inzwischen müsste sie elf sein, dachte Jon. Noch immer ein Kind. » Ich habe keine Schwester. Nur Brüder. Nur euch.« Lady Catelyn hätte diese Worte mit Freuden gehört, das wusste er. Allerdings machte es ihm diese Erkenntnis nicht leichter, sie auszusprechen. Er schloss die Hand um das Pergament. Wenn ich nur Ramsay Boltons Kehle ebenso leicht zerquetschen könnte.
Clydas räusperte sich. »Wird es eine Antwort geben?«
Jon schüttelte den Kopf und ging davon.
Bei Sonnenuntergang waren die Stellen, wo Rasselhemd ihn getroffen hatte, blau geworden. »Bevor sie verblassen, werden sie noch gelb werden«, erklärte er Mormonts Raben. »Ich werde so fahl aussehen wie der Herr der Knochen.«
» Knochen«, stimmte der Vogel zu. » Knochen, Knochen.«
Er hörte leises Murmeln von draußen, jedoch zu leise, um die Worte zu verstehen. Es klingt, als wären sie tausende Meilen entfernt. Das waren Lady Melisandre und ihre Anhänger am Nachtfeuer. Jeden Abend bei Sonnenuntergang versammelte die Rote Frau ihre Gefolgschaft zum Gebet im Zwielicht und bat den Roten Gott darum, sie durch die Dunkelheit zu geleiten. Denn die Nacht ist dunkel und voller Schrecken. Da Stannis und die meisten Männer der Königin abmarschiert waren, hatte sich ihre Schar stark verkleinert: ein halbes Hundert vom Freien Volk aus Mole’s Town, die Hand voll Wachen, die der König bei ihr gelassen hatte und vielleicht ein Dutzend Schwarze Brüder, die sich entschieden hatten, an den Roten Gott zu glauben.
Jon fühlte sich so steif wie ein Sechzigjähriger. Dunkle Träume, dachte er, und Schuld. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Arya zurück. Es gibt keine Möglichkeit, wie ich ihr helfen kann. Ich habe mich von meiner Sippe losgesagt, als ich mein Gelübde abgelegt habe. Wenn einer meiner Männer mir sagen würde, seine Schwester wäre in Gefahr, würde ich ihm sagen, das gehe ihn nichts mehr an. Wenn ein Mann seine Worte gesprochen hatte, wurde sein Blut schwarz. Schwarz wie das Herz eines Bastards. Er hatte von Mikken einst ein Schwert für Arya schmieden lassen, die Klinge eines Bravos, eine kleine Waffe, die in ihre Hand passte. Needle. Er fragte sich, ob sie das noch hatte. Zustechen nur mit dem spitzen Ende, hatte er ihr erklärt, aber wenn sie das beim Bastard versuchte, könnte es sie das Leben kosten.
» Snow«, murmelte Lord Mormonts Rabe. » Snow, Snow.«
Plötzlich konnte er es keinen Augenblick länger ertragen.
Er fand Ghost vor seiner Tür, wo der Schattenwolf an einem Ochsenknochen nagte, um an das Mark heranzukommen. »Wann bist du zurückgekommen?« Der Schattenwolf erhob sich, ließ den Knochen liegen und tappte Jon hinterher.
Mully und Kegs standen innen vor den Türen und lehnten sich auf ihre Speere. »Eine grässliche Kälte da draußen, M’lord«,
Weitere Kostenlose Bücher