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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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warnte Mully unter dem orangefarbenen Bartgewirr hervor. »Bleibt Ihr lange fort?«
    »Nein. Ich brauche nur etwas frische Luft.« Jon trat hinaus in die Kälte. Der Himmel war voller Sterne, und der Wind pfiff über die Mauer. Sogar der Mond sah aus, als wäre ihm kalt: Er hatte überall im Gesicht Gänsehaut. Dann erwischte die erste Böe Jon und drang durch die Wollschichten und das Leder. Er begann mit den Zähnen zu klappern. Über den Hof ging er geradewegs in den schneidenden Wind hinein. Sein Mantel knatterte ihm um die Schultern. Ghost folgte ihm. Wohin gehe ich eigentlich? Was mache ich? In der Schwarzen Festung war es totenstill, die Hallen und Türme waren in Dunkelheit gehüllt. Mein Sitz, dachte Jon Snow. Meine Halle, mein Heim, meine Festung. Eine Ruine.
    Im Schatten der Mauer strich der Schattenwolf an seinen Fingern entlang. Einen Augenblick lang lebte die Nacht in tausend Gerüchen auf, und Jon Snow hörte das Knistern der alten Schneekruste. Irgendjemand ging hinter ihm, erkannte er plötzlich. Jemand, der so warm duftete wie ein Sommertag.
    Als er sich umdrehte, sah er Ygritte.
    Sie stand unter den versengten Steinen, die vom Turm des Lord Kommandanten geblieben waren, eingehüllt in Dunkelheit und Erinnerungen. Das Mondlicht spielte auf ihrem Haar, auf ihrem roten Haar, das vom Feuer geküsst war. Als er das sah, bekam Jon Herzklopfen. »Ygritte«, sagte er.
    »Lord Snow.« Die Stimme gehörte Melisandre.
    Überrascht schrak er vor ihr zurück. »Lady Melisandre.« Er machte einen Schritt nach hinten. »Ich habe Euch mit jemandem verwechselt.« In der Nacht sind alle Roben grau. Doch plötzlich wurde ihre rot. Er verstand nicht, wie er sie mit Ygritte hatte verwechseln können. Sie war größer, dünner, älter, auch wenn ihr Gesicht im Mondlicht einige Jahre jünger wirkte. Dunst kam aus von ihrer Nase und von den bleichen Händen, die nackt der Nacht ausgesetzt waren. »Ihr werdet Euch die Finger abfrieren«, warnte Jon.
    »Wenn es R’hllors Wille ist. Die Mächte der Nacht können dem, dessen Herz in Gottes heiligem Feuer gebadet ist, nichts anhaben.«
    »Euer Herz ist nicht meine Sorge. Nur Eure Hände.«
    »Aber das Herz ist das Einzige, auf das es ankommt. Verzweifelt nicht, Lord Snow. Verzweiflung ist eine Waffe des Feindes, dessen Name nicht ausgesprochen werden darf. Eure Schwester ist nicht verloren.«
    »Ich habe keine Schwester.« Ihre Worte waren Dolche. Was wisst Ihr von meinem Herzen, Priesterin? Was wisst Ihr von meiner Schwester?
    Melisandre schien das zu belustigen. »Wie heißt sie, diese kleine Schwester, die Ihr nicht habt?«
    »Arya.« Seine Stimme war heiser. »Eigentlich meine Halbschwester …«
    »… denn Ihr seid als Bastard geboren. Das hatte ich nicht vergessen. Ich habe Eure Schwester in meinen Feuern gesehen, wie sie vor dieser Hochzeit flieht, die man für sie vorbereitet hat. Wie sie hierherkommt zu Euch. Ein Mädchen in Grau auf einem sterbenden Pferd. Klar wie der helle Tag habe ich es gesehen. Noch ist es nicht geschehen, aber es wird so kommen.« Sie starrte Ghost an. »Darf ich Euren … Wolf berühren?«
    Bei dem Gedanken wurde Jon unbehaglich zumute. »Lieber nicht.«
    »Er wird mich nichts zuleide tun. Ihr nennt ihn Ghost, nicht wahr?«
    »Ja, aber …«
    » Ghost.« Aus Melisandres Mund klang das Wort wie ein Lied.
    Der Schattenwolf trottete zu ihr. Vorsichtig schlich er um sie herum und schnüffelte. Als sie die Hand ausstreckte, schnupperte er auch daran, dann drückte er seine Nase an ihre Finger.
    Jon stieß weißen Atem aus. »Er ist sonst nicht so …«
    »… warm? Wärme zieht Wärme an, Jon Snow.« Ihre Augen waren zwei rote Sterne, die im Dunkeln leuchteten. An ihrem Hals leuchtete ihr Rubin, ein drittes Auge, heller als die beiden anderen. Ghosts Augen flammten auch manchmal so auf, wenn das Licht richtig stand. » Ghost«, rief er. »Zu mir.«
    Der Schattenwolf sah ihn an, als wäre er ein Fremder.
    Jon runzelte ungläubig die Stirn. »Das ist … seltsam.«
    »Meint Ihr?« Sie kniete sich hin und kraulte Ghost hinter den Ohren. »Eure Mauer ist ein seltsamer Ort, aber hier gibt es Macht, Macht, die Ihr einsetzen könnt. Die Macht in Euch und in diesem Tier. Ihr wehrt euch dagegen, und das ist Euer Fehler. Nehmt sie an. Benutzt sie.«
    Ich bin kein Wolf, dachte er. »Und wie soll ich das tun?«
    »Ich kann es Euch zeigen.« Melisandre legte einen schlanken Arm um Ghost, und der Schattenwolf leckte ihr das Gesicht. »In seiner Weisheit hat

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