09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
den toten Korsaren Stiefel und Gürtel und Waffen abgenommen und den Inhalt ihrer Geldbeutel unter sich aufgeteilt. Auch Edelsteine und Ringe hatte man ihnen aus Ohren und von Fingern gerissen. Eine der Leichen war so fett gewesen, dass der Schiffskoch die Finger mit einem Hackbeil abtrennen musste, um sich die Ringe zu holen. Drei Seeleute waren notwendig gewesen, um die Leiche ins Meer zu wälzen. Die anderen toten Piraten wurden dem Fetten ohne ein Wort des Gebetes hinterhergeworfen.
Die eigenen Toten erfuhren eine bessere Behandlung. Die Seeleute nähten sie in Segeltuch ein und beschwerten sie mit Ballaststeinen, damit sie schneller sanken. Der Kapitän der Wiesenlerche sprach mit seiner Mannschaft ein Gebet für die Seelen der getöteten Kameraden. Dann wandte er sich an seine drei dornischen Passagiere, die von den sechs, welche in der Plankenstadt an Bord gekommen waren, übrig geblieben waren. Sogar der Große Mann war an Deck gekommen, bleich und grünkrank und wacklig auf den Beinen, hatte er sich aus den Tiefen des Schiffsrumpfs nach oben gequält, um den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen. »Einer von Euch sollte ein paar Worte über Eure Toten sprechen, ehe wir sie dem Meer übergeben«, hatte der Kapitän gesagt. Gerris war dem nachgekommen und hatte mit jedem Wort gelogen, da er nicht wagte, die Wahrheit darüber zu sagen, wer sie wirklich gewesen waren und welchem Zweck ihre Reise diente.
So hätte es für sie nicht ausgehen sollen. » Das ist eine Geschichte, die wir noch unseren Enkeln erzählen werden«, hatte Cletus an dem Tag gesagt, an dem sie von der Burg seines Vaters aufgebrochen waren. Will hatte das Gesicht verzogen und gemeint: »Eine Geschichte für die Mädchen in den Schenken, damit sie dich unter ihre Röcke lassen.« Cletus hatte ihm einen kräftigen Schlag auf die Schulter versetzt. »Für Enkel braucht man erst mal eigene Kinder. Und für Kinder muss man unter die Röcke.« Später in der Plankenstadt hatten die Dornischen auf Quentyns künftige Braut angestoßen und schmutzige Witze über die bevorstehende Hochzeitsnacht gemacht. Sie hatten über die Dinge geredet, die sie sehen, über die Taten, die sie vollbringen, über den Ruhm, den sie erringen würden. Alles, was sie bekommen haben, war ein Sack aus Segeltuch voller Ballaststeine.
Sosehr er um Will und Cletus trauerte, so war es doch der Verlust des Maesters, der Quentyn am härtesten traf. Kedry hatte die Sprachen aller Freien Städte fließend beherrscht, sogar das Ghiscari-Gemisch, das an der Küste der Sklavenbucht gesprochen wurde. »Maester Kedry wird dich begleiten«, hatte sein Vater in der Nacht gesagt, in der sie Abschied nahmen. »Höre auf seinen Rat. Er hat sein halbes Leben dem Studium der Neun Freien Städte gewidmet.« Quentyn dachte, dass alles viel einfacher wäre, wenn er nur hier wäre, um ihnen zu helfen.
»Ich würde meine Mutter für etwas Wind verkaufen«, sagte Gerris, während sie durch die Menschenmenge am Kai rollten. »Hier ist es so feucht wie in der Möse der Jungfrau, und dabei ist noch nicht einmal Mittag. Ich hasse diese Stadt.«
Quentyn teilte diese Empfindung. Die dumpfe feuchte Hitze von Volantis zehrte an seinen Kräften und hinterließ das stete Gefühl, schmutzig zu sein. Am schlimmsten war das Wissen, dass die Nacht keine Erleichterung bringen würde. Oben auf den hohen Auen nördlich von Lord Isenwalds Ländereien war die Luft nach Einbruch der Dunkelheit immer frisch und kühl, gleichgültig, wie heiß der Tag gewesen war. Hier hingegen nicht. In Volantis waren die Nächte beinahe so heiß wie die Tage.
»Die Göttin segelt morgen nach Neu-Ghis«, erinnerte Gerris ihn. »Das würde uns dem Ziel wenigstens näher bringen.«
»Neu-Ghis ist eine Insel mit einem viel kleineren Hafen als diesem. Wir wären vielleicht vorangekommen, könnten am Ende jedoch trotzdem festsitzen. Und Neu-Ghis hat sich mit den Yunkai’i verbündet.« Die Nachricht hatte Quentyn nicht überrascht. Neu-Ghis und Yunkai waren Ghiscari-Städte. »Wenn sich Volantis ebenfalls mit ihnen verbünden sollte …«
»Wir müssen ein Schiff aus Westeros suchen«, schlug Gerris vor, »ein Handelsschiff aus Lannisport oder Oldtown.«
»So weit kommen nur wenige, und die laden ihre Frachträume mit Seide und Gewürzen aus der Jadesee voll, um dann sofort wieder in Richtung Heimat aufzubrechen.«
»Vielleicht ein Schiff aus Braavos? Man hört von violetten Segeln, die sogar bis Asshai und den Inseln der Jadesee
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