0905 - Die Anstalt
sofort klar. Er nickte. »So viele Kinder«, sagte er, »bedeuten auch sehr viele Sorgen, oder?«
Ihr Lächeln verlor an Strahlkraft. »Mehr als man sich vorstellen kann.«
Sie bat ihn, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich in einen tiefen Sessel schräg gegenüber.
»Etwas zu trinken?«
»Danke, ich trinke keinen Alkohol.«
»Wasser?«
Er verneinte auch dies höflich. Stattdessen kam er auf ihre Bemerkung zurück. »Majestät, ich bin mir der Ehre bewusst, von Euch empfangen zu werden, und wahrscheinlich ist es unziemlich, Euch mit Fragen zu bombardieren, aber… kanntet Ihr tatsächlich meinen Vater?«
»Ihn und Ihren Großvater.«
Arsenius Hall kannte keinen von beiden. Er war als Waise groß geworden, auch wenn ihm das erst spät klar geworden war. Dann nämlich, als er eines Tages bemerkt hatte, dass sich die beiden Menschen, die er für seine Eltern gehalten hatten, ihm gegenüber wie Fremde benahmen.
Hall schauderte, als er daran dachte. Zugleich spürte er, wie sein Herz zu rasen begonnen hatte. Was kein Untoter oder Dämon bislang vermocht hatte, schaffte die alte Königin mit ein paar schlichten Worten: Er brach in Schweiß aus.
»Beruhigen Sie sich, Mister Hall, ich weiß auch, es ist nicht richtig, wie ich zu Ihnen spreche, womit ich Sie ohne jede Vorwarnung konfrontiere. Aber glauben Sie mir, wenn wir mehr Zeit hätten, wenn ich selbst hätte voraussehen können, was noch während meiner Herrschaft geschieht…« Sie verstummte, schluckte, wirkte für einen Moment wie in Agonie verfallen.
Hall fürchtete schon, sie hätte einen Schlaganfall erlitten, doch dann kehrte die Fassung zu Victoria zurück.
»Wir müssen über sehr vieles sehr, sehr schnell sprechen, Mister Hall - und danach müssen Sie mir sagen, ob Sie bereit sind, Ihre besonderen Kräfte in die Waagschale zu werfen, um diese Stadt… dieses Land… vor unvorstellbarer Verderbnis zu bewahren.«
Hall straffte sich. »Majestät, wovon, um Himmels Willen, redet Ihr?«
»Ich rede vom Teufel, von Satan, der Hölle, ewiger Verdammnis… wie immer man es nennen will - ich rede von dem, was Ihr Vater und Großvater besiegt glaubten, für immer begraben. Die jüngsten Ereignisse jedoch lassen befürchten, dass es…« Im Sitzen stampfte ihr rechter Fuß einmal resolut auf das Parkett. »… wieder erwacht sein könnte.«
»Besiegt glaubten, mein Vater und Großvater?« Hall nestelte nervös an seiner Gürtelschnalle, und zum ersten Mal ging Königin Victorias Blick dorthin.
Ein spitzer Schrei löste sich aus ihrer Kehle.
Hall sah sich veranlasst, ihrem Blick zu folgen. Er schaute an sich herunter… und sah das Symbol auf der Schnalle glühen. Sofort zog er die Finger zurück, als könnte er sich daran verbrennen.
»Ihr tragt denselben Gürtel, den Ihr Vater damals trug, als wir uns trafen.«
Halls Mund war knochentrocken.
»Ihr… wisst, was das Symbol darstellt?«
Er schüttelte den Kopf. Das Glühen war unverändert. »Ihr?«
»Aber ja… kommen Sie. Kommen sie mit mir in den Nebenraum. Dort ist es aufgebaut. Es ist noch genauso, wie Ihr Großvater es damals wünschte. Kommen Sie, kommen Sie schnell…« Sie hatte sich bereits erhoben, und Hall folgte ihr wie betäubt. Er überlegte, ob er sich des Gürtels entledigen sollte.
Aber wenn es tatsächlich ein Erbstück seines Vaters war, wollte er es unter allen Umständen behalten. Er versuchte, seine besonderen Sinne in die Schnalle zu dirigieren, aber sie zuckten zurück, als hätte etwas nach ihnen zu greifen, sie festzuhalten versucht.
Mit zitternden Knien betrat er den Nebenraum durch die Tür, die seine Königin ihm geöffnet hatte.
Es gab keine Fenster, aber Leuchter waren so geschickt verteilt, dass das Ding, das Victoria ihm zeigen wollte, wie auf einem Präsentierteller vor ihm lag.
Arsenius Hall hatte manches erwartet, aber nicht das. Sein Unverständnis, die Situation betreffend, wuchs.
»Das ist…«, setzte er mit rauer Stimme an.
»… Millbank Penitentiary«, bestätigte Königin Victoria. »Das größte Gefängnis dieser Hemisphäre - und der Grund Ihres Hierseins. Sie kennen sich aus mit Höllengezücht, Mister Hall, meine Quellen sind diesbezüglich verlässlich. Sie haben dieselbe Gabe wie Ihr Vater, und mein geheimer Dienst war die letzten Jahre permanent über Ihren Aufenthalt und Ihre Aktivitäten informiert. Es ist mir ein Anliegen, Sie um Ihre Unterstützung zu ersuchen. Ich habe Ihren Vater hoch geschätzt, und ich schätze auch das, was Sie in
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