Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0906 - Das Vermächtnis der Hexe

0906 - Das Vermächtnis der Hexe

Titel: 0906 - Das Vermächtnis der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
Vom Netzwerk:
sich überlagernden Bilder - all das waren nur Produkte seiner Ohnmacht und seines pochenden Schädels gewesen!
    War das wirklich so?
    Rhett kniff die Augen zusammen. Da war nicht nur der schwarze Himmel! Nein, er sah auch Gitterstäbe!
    Er setzte sich auf und ächzte. Um ihn herum waren ebenfalls Gitterstäbe. Er saß tatsächlich in einem Käfig!
    Na toll!
    Er stand auf, umklammerte zwei der Stäbe mit den Händen und presste das Gesicht dagegen. Für einen Augenblick hatte er wieder das Gefühl der sich überlagernden Bilder, doch es verschwand sofort wieder. Wenigstens dieser Teil war tatsächlich ein Gespinst seiner Bewusstlosigkeit gewesen.
    Das hier war nicht mehr der Bahnhof Neufeld. Überall waren Bäume und Sträucher, alle vermutlich so echt wie Nicoles Haarfarbe. Nur die kleine Lichtung, auf der der Käfig stand, war gänzlich baumfrei.
    Da hörte Rhett hinter sich ein leises Knistern. Er fuhr herum und stellte fest, dass er auf der falschen Seite aus dem Käfig gesehen hatte. Denn die Musik spielte auf dieser Seite.
    Er entdeckte zwei weitere Käfige auf der Lichtung. In einem stand Jack mit aufgerissenen Augen und starrte heraus. Der andere war leer.
    »Nein! Tun Sie ihr nichts!«
    Da war sie wieder! Jacks Stimme!
    Tränen kullerten über Jacks Gesicht. Seine Augen waren rot und geschwollen.
    »Bitte nicht! Bitte tun Sie meiner Schwester nichts!«, jammerte er.
    Rhett konnte das Entsetzen erkennen, dass sich tief in Jacks Gesichtszüge gegraben hatte, und er konnte es gut nachvollziehen.
    Die Käfige bildeten die Ecken eines Dreiecks, in dessen Zentrum ein mehr als mannshoher Haufen Asche aufragte. Am Rand stand Margret mit hängenden Schultern und glasigem Blick.
    Alleine die Leere in ihren Augen konnte einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Noch schauderhafter aber war, dass ihr Mund weit geöffnet war und ein dicker, knisternder Strahl bläulichen Lichts hervorquoll. Dieser führte geradewegs in den Aschehaufen.
    Plötzlich schob sich das weiße Gesicht der bösen Frau in Rhetts Blickfeld. Das freundliche Dauerlächeln konnte den Erbfolger keine Sekunde darüber hinwegtäuschen, dass er eine Hexe vor sich hatte.
    »Na, mein kleines Küken, hast du Angst?«, fragte sie. »Das brauchst du nicht! Bald ist es vorbei und du hast ein gutes Werk vollbracht!«
    Sie kicherte. Es war ein wahnsinniges, hysterisches Kichern, das die Freundlichkeit des Gesichts Lügen strafte.
    Die Hexe hatte Deutsch gesprochen. Und zu Rhetts Verwunderung hatte er alles verstanden!
    Natürlich, er hatte Deutsch in der Schule gelernt, und seine Privatlehrer hatten den Unterricht fortgesetzt, aber wirklich gut beherrschte er die Sprache nicht.
    Bis jetzt!
    Es gab für ihn nur eine mögliche Erklärung: In seinen früheren Leben hatte er unzählige Sprachen gelernt und sie im Laufe der Jahrtausende sicherlich perfektioniert und an die jeweiligen Zeiten angepasst. Und nun musste die Erinnerung an das Deutsche geweckt worden sein.
    Na, das waren doch tolle Neuigkeiten! Die Llewellyn-Magie schlummerte weiter vor sich hin, aber wenigstens konnte er mit der Frau, die ihn nach Jacks Aussage fressen wollte, noch ein kleines Schwätzchen halten.
    »Warum trägst du eine Maske?«, fragte er.
    Schlagartig verstummte das Kichern. Das weiße Gesicht zuckte bis auf wenige Millimeter an die Gitter und Rhetts Nasenspitze heran.
    »Das ist keine Maske, du vorlautes Gör!«, fauchte die Hexe. In ihrer Stimme lag blanke, schneidende Wut, und vermutlich hätte die Hexe vor Zorn gegeifert, hätte sie es mit ihrem Porzellankörper gekonnt. Denn um nichts anderes handelte es sich, wie Rhett nun erkannte.
    Es war nicht zu sehen, woher die Stimme der Hexe kam. Aus dem Mund jedenfalls nicht, denn das Gesicht war starr, ein pausbäckiges, eingefrorenes, debiles Lächeln.
    Warum kann sie ihren Körper bewegen, ihr Gesicht aber nicht? Im nächsten Augenblick wurde ihm klar, dass das auf der Liste der drängendsten Fragen sicher nicht sehr weit oben rangierte.
    »Tut mir leid«, log Rhett und schlug den Blick zu Boden. »Ich wollte nicht ungezogen sein.«
    Die Hexe zog ihr Gesicht zurück. »Das soll ich dir glauben? Na, sei's drum! In wenigen Minuten ist es ohnehin gleichgültig.«
    »Warum? Was ist in wenigen Minuten?«
    Wieder dieses irre Kichern. »In wenigen Minuten werdet ihr alle drei um die Reste meines menschlichen Körpers herum stehen und sie durch die Spende eurer Seelen wiederbeleben! Mein Geist verlässt sein Porzellangefängnis, ich

Weitere Kostenlose Bücher