091 - Die Braut des Hexenmeisters
Seance: Jedesmal waren ihr Dougnacs mit dem Gesicht von Jean erschienen. Diese Alpträume waren zu logisch und konsequent, als daß man sie als Hirngespinste abtun konnte. Offenbar bestätigten sie alle nur ihren Alptraum von Amiens: Jean war in Gefahr!
Und dann der Alptraum in der vergangenen Nacht – die Fledermaus mit dem Gesicht von Alain Monod? Paßte auch er in diese logische Sequenz? Sie lächelte müde. Das war nur ein ganz gewöhnlicher Traum gewesen, dachte sie. Eine Ausgeburt ihrer überreizten Sinne. Dieser Alain Monod war doch nur ein Scharlatan, dämonisch nur als Don Juan. Schließlich war sie eine Frau und konnte die sinnliche Anziehungskraft dieses Mannes auf sie nicht leugnen. Warum sollte sie es auch? Sie wußte, daß sinnliche Empfindungen sich oft in solchen Träumen auflösen, wie sie ihn in der vergangenen Nacht erlebt hatte. Alain Monod hatte in der Gestalt einer Fledermaus ihr Blut genossen. Das war schrecklich und lustvoll zugleich. Wahrscheinlich war jeder Akt mit einem Mann, den man begehrte, ohne ihn zu lieben, lustvoll und schrecklich zugleich.
Aber das Blutmal an ihrem Hals? Nun ja, vielleicht eine Verletzung durch den scharfkantigen Verschluß ihrer Kette.
Wenn sie nur nicht so erschöpft gewesen wäre!
Madame Robin war wieder strahlend liebenswürdig und gesprächig wie am Vortag. Das Frühstück war ausgezeichnet. Anschließend fragte sie Madame Robin, ob sie am Hauptapparat in der Bibliothek telefonieren dürfe.
„Ach, mein Kind“, meinte Madame Robin bedauernd, „ausgerechnet heute wird hier in diesem Bezirk ein neues Kabel verlegt. Alle Anschlüsse in der Nachbarschaft sind bis heute nachmittag tot. Das Amt wird uns verständigen, wenn alles wieder in Ordnung ist.“
„Darf ich dann vielleicht…“ fing Manon an, aber Madame Robin fuhr schon im gleichen Atemzug fort: „Gehen wir doch gleich in die Bibliothek und warten dort den Anruf vom Amt ab. Bei mir hat sich eine Menge Korrespondenz angesammelt. Heute wollen wir mal so richtig fleißig sein!“ Madame Robin lächelte liebenswürdig. „Und dann das Vergnügen. Der Meister hat uns für heute abend schon wieder zu einer Seance eingeladen.“ Sie drohte Manon schelmisch mit dem Finger. „Sie müssen großen Eindruck auf ihn gemacht haben, mein Kind. So rasch hintereinander hat er noch nie zwei Seancen abgehalten. Daran können nur Sie schuld sein!“
Manon konnte nicht verhindern, daß sie rot anlief.
Madame Robin diktierte bis spät in den Nachmittag hinein. Sie hatte eine Menge Post zu beantworten, die liegengeblieben war.
Alles Bitten und Anfragen um Horoskope.
Madame Robin war eine bekannte Astrologin, wie Manon aus den Briefen erfuhr.
Aber der Anruf vom Amt, daß die Leitung wieder in Ordnung wäre, kam nicht. Sie saß wie auf Kohlen. Wie konnte sie denn endlich Jean erreichen und ihm mitteilen, daß sie in Paris war?
Jean Dougnac erwachte an diesem Morgen zwar mit einem schalen Geschmack im Mund, aber sonst ziemlich munter und guter Laune. Manon war in Paris. Er pfiff leise vor sich hin und lächelte. Er hatte ihr zwar aus gewissen Gründen verboten, hierherzukommen, aber er hatte ja gleich gewußt, daß Manon sich nicht so ohne weiteres herumkommandieren ließ. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, als er einen Ausflug nach Amiens gemacht hatte, um die Stadt kennenzulernen. Statt dessen hatte er Manon kennengelernt.
Er war einer verrückten Eingebung gefolgt. Alte Kirchen oder Schlösser interessierten ihn überhaupt nicht. Trotzdem war er nach Amiens gefahren, um dort die Kathedrale zu besichtigen.
Er mußte eben dorthin fahren, um Manon kennenzulernen, dachte er und seufzte zufrieden. Er ahnte gar nicht, wie recht er mit seiner Vermutung hatte.
Sie hatten sich auf den Stufen des Doms getroffen, und er hatte spontan gefragt, ob sie ihm nicht die Sehenswürdigkeiten des Doms erklären könne. Sie hatte nicht eine Sekunde gezögert, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.
Und dann hatten sie die ganze Nacht hindurch getanzt. In einer kleinen verräucherten Bar. Sie hatten nur noch Augen füreinander gehabt. Sie hatte ihm anvertraut, warum sie sich sofort zu ihm hingezogen fühlte. „Du bist nicht wie die anderen Männer“, hatte sie gesagt. „Etwas Tragisches, Dunkles umgibt dich, wofür du nichts kannst. Und davon möchte ich dich mit meiner Liebe befreien.“
Ja, Manon war nicht nur ein energisches, sondern auch ein überaus hellsichtiges Mädchen.
„Da ist etwas Wahres daran“, hatte
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