0910 - Blutliebe
Kendrake sein mußte.
Auf seinem Kopf wuchs eine Haarmähne, die farblich kaum zu bestimmen war. Kinn und Nase waren kräftig, verrieten Energie und Durchsetzungsvermögen. Die buschigen Brauen hatten sich der Haarfarbe angeglichen. Als er vor uns stehenblieb und wir einen Blick in seine Augen werfen konnten, erkannte zumindest ich, daß dieser Blick nicht zu seiner durchaus imposanten Erscheinung paßte. Er war flattrig, nervös, auch ängstlich und die Ringe unter den Augen zeigten uns an, daß die letzte Nacht nicht sehr erholsam für ihn gewesen war.
Er nickte mir zu. »Sie sind also John Sinclair.«
»Richtig.«
»Und Sie Suko?«
»Ja.«
»Dann hat Ihre Freundin Jane Collins doch recht behalten, als sie sagte, Sie würden zu zweit kommen.«
»Das hat sich im Laufe der Zeit stets bewährt«, erklärte ich.
In der sich anschließenden Schweigepause nahm Walter Kendrake auf, was er vor sich sah, enthielt sich dabei aber eines Kommentars. Er bat uns schließlich, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, wo auch Jane warten sollte.
»Wie geht es ihr denn?« fragte ich.
»Nicht gut. Außerdem hat sie versagt!«
Diese Antwort hatte mich dermaßen überrascht, daß ich den Mann am rechten Arm festhielt und so seinen Gang stoppte. »Moment mal, was soll das heißen?«
Er drehte den Kopf. »Wie ich es schon gesagt habe. Ihre Freundin Jane Collins hat versagt. Sie war nicht in der Lage, die Entführung meiner Tochter Romana durch den Vampir zu verhindern. Was das bedeutet, können Sie sich sicherlich ausmalen. Ein Mensch, der sich in den Klauen eines Vampirs befindet und dazu noch wehrlos ist. Glauben Sie, daß dieser Mensch sein Blut behalten wird?«
»In der Regel nicht«, gab ich zu.
»Eben, Mr. Sinclair. Dann werden Sie auch verstehen, wie es in mir aussieht.«
»Hören Sie, Mr. Kendrake.« Ich hielt ihn wieder fest, bevor er weitergehen konnte. »Ich kenne Jane Collins gut. Sie ist keine Anfängerin. Bewußt hat sie es bestimmt nicht getan. Ich könnte mir vorstellen, daß es zu einer Verkettung unglücklicher Umstände gekommen ist.«
»Kann sein. Nur bleibt das Ergebnis das gleiche.«
»Sicher.«
Er schaute mich scharf an. »Können wir jetzt weitergehen? Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren.«
»Natürlich.«
Kendrake führte uns in sein Arbeitszimmer. Die Regale mit, den Büchern und Akten sowie der große dunkle Schreibtisch mit Lederauflage gaben dem Raum doch ein gewisses Flair, zu dem auch die Sitzgruppe aus fünf hochlehnigen Ledersesseln zählte. In einem dieser Sessel saß der Lichtblick des Zimmers, Jane Collins.
Ich lächelte, sie lächelte, wenn auch gequält, und ich sah den Grund wenig später.
Sie hatte ihr linkes Bein ausgestreckt. Der Fuß und der mit einem Verband umwickelte linke Knöchel wurden durch eine kleine, gepolsterte Fußbank abgestützt, was natürlich darauf hinwies, daß Jane Schwierigkeiten bekommen hatte.
Suko und ich waren schnell bei ihr. Wir umarmten sie und hörten, wie froh sie war, uns hier zu sehen.
»Und was ist mit dir?« fragte ich.
»Ein Reinfall.«
»Dann stimmt es, was Kendrake gesagt hat?«
Jane blickte Suko an. »Hat er von meinem Versagen gesprochen?«
»So ähnlich.«
Jane seufzte und schlug die Augen nieder. »Damit hat er nicht mal unrecht.«
Sir Walter Kendrake kam näher.
»Bevor wir in die Einzelheiten gehen, kann ich Ihnen etwas anbieten. Kaffee oder Tee?«
»Wir entschieden uns für Kaffee.«
»Bitte, dann nehmen Sie Platz. Ich werde der Hausdame Bescheid geben.«
Wir kamen der Aufforderung nach. Ich setzte mich so hin, daß ich Jane im Auge behalten konnte, aber auch das hohe, hinter ihr liegende Fenster. Wir hatten noch Tag, doch das schien für den großen Park nicht zu gelten. Er machte auf mich einen düsteren Eindruck, vielleicht auch einen unheimlichen.
Mein Gefühl in diesem Haus war nicht positiv. Ich fragte mich, was da noch auf uns zukam…
***
Sie erwachte!
Aber es war nicht so wie früher, als Romana noch ein Mensch gewesen war. Dieses Erwachen war anders, und sie war auch nach wie vor von einer tiefen Finsternis umhüllt, als wäre sie von einem gewaltigen Schlund verschluckt worden.
Romana hielt die Augen offen. Sie war jetzt wach. Sie lauschte, und sie hörte Geräusche, die sie als Mensch wohl nicht wahrgenommen hätte, aber darüber dachte sie nicht nach, denn ihr normaler Mechanismus funktionierte jetzt anders. Ihre Wünsche drehten sich nun um andere Dinge.
Die neue Vampirin spürte einen irren
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