0911 - In der Knochengruft
bedeutet das?«
Croydon schaute mich sehr ernst an. »Das kann bedeuten, daß wieder Menschen verschwinden werden. Er wird sie sich holen, wie damals. Die alte Geschichte ist wahr, auch wenn sie in Vergessenheit geriet. Dort, wo jetzt die Siedlung steht, hatte der Zirkus sein Lager aufgeschlagen. Ich bin sicher, daß der Zauberer nach seiner Befreiung dorthin zurückkehren wird. Wehe den Menschen. Wir sollten achtgeben, denn auch ich werde in der Nähe sein.«
»Achtgeben? Wann?«
»Die Dunkelheit ist seine Zeit. Der Abend, die Nacht. Barney hat das Unglück herausgefordert. Er hätte die Knochen nie und nimmer mitnehmen dürfen. Er hat es getan und damit ein Tor aufgestoßen. Er hat das Grauen in diese Welt zurückgeholt, das seine Vorfahren längst begraben zu haben glaubten.«
»Sie sind also davon überzeugt, daß sich der Zauberer Menschen holen wird?«
»Er wird sie verschlingen.«
»Und nur die Knochen zurücklassen?«
»So ist es.«
Ich blickte Barney an. Er hatte eine Gänsehaut bekommen und sah aus wie jemand, der sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte. Da dies nicht möglich war, blieb er stehen und zitterte vor sich hin.
Croydon deutete eine Verbeugung an. »Sie werden mich entschuldigen. Ich muß wieder in meinen Wagen. Aber ich denke schon, daß wir uns bald wiedersehen werden.«
Es gab keinen Grund, ihn aufzuhalten, und deshalb ließ ich ihn gehen. Er strich mit der Hand über das Haar des Jungen, lächelte ihm aufmunternd zu und gab ihm noch den Rat, auf seinen Daddy achtzugeben. Dann drehte er sich um und ging weg. Schon bald hatte der Krüppelwald seine Gestalt verschluckt.
Jetzt endlich setzte sich Barney in Bewegung. Er fiel neben seinem bewußtlosen Vater auf die Knie, sah auch die Verletzungen, die der Angriff der Knochen hinterlassen hatte, und in seinem Gesicht zuckte es. Er konnte die Tränen kaum zurückhalten, als Frank Madson die Augen öffnete.
»Dad!« schrie Barney.
Auch Frank hatte den Ruf gehört, aber nicht wahrgenommen, was in seiner nahen Umgebung passierte. Ich drückte Barney auch zur Seite, weil ich seinen Vater endlich nach Hause bringen mußte.
Wir legten ihn auf den Rücksitz des Rovers. Barney hatte mir dabei geholfen.
Schwer atmend saß er neben mir. Bevor ich noch starten konnte, fragte er: »Es wird doch wieder alles gut mit meinem Vater - oder?«
Ich zwinkerte ihm zu. »Es ist schon alles gut.«
Das beruhigte ihn, aber er hatte noch eine Frage. »Und was ist mit dem Gespenst?«
»Das stellen wir auch noch.«
»Ehrlich?«
Ich nickte, auch wenn ich nicht so recht überzeugt war und ich mir Sorgen um die Bewohner der Siedlung machte. Wenn dieser Zauberer tatsächlich Rache nahm, würde es für die Menschen in Cowfold schlimm werden…
***
Eine erleichterte Gilda Madson war mir um den Hals gefallen, als ich ihr ihren Mann - wenn auch verletzt - wieder zurückbrachte. Er hätte eigentlich zur Beobachtung in ein Krankenhaus gehört, dagegen aber hatte er sich mit aller Macht gestemmt und nur einen Arztbesuch zugelassen. Der Doktor hatte ihn so gut wie möglich verarztet und war zwar nicht gegen einen Aufenthalt in einer Klinik gewesen, doch bei einer guten Pflege zu Hause konnte man es auch dabei belassen. Diese Pflege versprach ihm Gilda Madson in die Hand. Außerdem wollte der Arzt am nächsten Tag wieder nach ihm sehen. Natürlich hatte er sich über das Motiv der Verletzungen Gedanken gemacht und entsprechende Fragen gestellt.
Da hatte ich mich eingemischt, ihn auf seine und auf meine- Schweigepflicht hingewiesen.
»Wenn Sie es so meinen, Mr. Sinclair, dann überlasse ich Ihnen die Verantwortung.«
Er war gegangen und hatte uns zurückgelassen. Ich stand im Wohnraum und schaute in den Garten, als Gilda Madson das Zimmer betrat. »Es sieht so aus, als wäre alles in Ordnung«, sagte sie. »Aber Ihrem Gesicht sehe ich an, daß es nicht stimmt.«
Ich lächelte sie an. »Sehr richtig, Mrs. Madson.«
»Was bitte, stimmt nicht? Reden Sie offen!«
»Abgesehen davon, daß Barney und ich gerade noch rechtzeitig in dieser Höhle erschienen sind, habe ich jemanden kennengelernt, der mir eine sehr ungewöhnliche Geschichte erzählte. Der Mann heißt Croydon und ist…«
»Der Bildhauer.«
»Sie kennen ihn also?«
»Sicher. Jeder hier kennt ihn. Er macht auch gute Grabsteine.«
»Ja«, murmelte ich, »das erzählte er. Aber er sprach noch weiter und rückte mit einer Geschichte heraus, die sich sehr mystisch und rätselhaft anhörte. Es ging da um
Weitere Kostenlose Bücher