0914 - Der Fluch der Sinclairs
gemacht? Wie hat er gelebt? Was tat er alles?«
»Das ist mir ein Rätsel.«
»Und mir auch, John. Aber nur dort finden wir die Lösung.«
»Er war, davon gehe ich aus, ein Katharer. Ich könnte dir über die Katharer etwas erzählen, es würde jedoch zu weit führen und…«
»Ist auch nicht nötig, Junge. Dein alter Vater ist ebenfalls nicht unwissend. Er kennt einige geschichtliche Zusammenhänge. Seit ich hier lebe, habe ich viel Zeit. Ich habe oft gelesen, ich bin einfach mit der Geschichte verwachsen, und ich kenne auch die Albigenser-Kriege. Zu der Zeit lebten unsere Vorfahren noch in Frankreich. Sie sind später nach England geflohen, und sicherlich haben sich einige von ihnen auch dem Templer-Orden angeschlossen. Aber wohl nicht dieser St.Clair. Ein Geist war er nicht, er konnte reden, er konnte sich normal bewegen, und ich hörte sogar den Hufschlag seines Pferds. Kommst du damit zurecht? Kannst du dir das erklären? Der Mensch hätte längst tot und zu Staub zerfallen sein müssen, er war es nicht, John. Und damit fängt unser Problem schon an. Er hat uns gefunden. Was er von uns will, weiß ich nicht.«
»Jedenfalls wollte er dich nicht töten, Vater. Das sehe ich schon als einen kleinen Fortschritt an.«
»Da hast du recht.« Er faßte nach meiner Hand. »Ich möchte dir noch einmal sagen, wie gut es mir tut, daß du hier bist. Du bist sehr schnell gekommen, hätte ich nie gedacht, aber so sind wir Sinclairs eben, auch wenn ein Fluch über unserem Namen liegt, und davon kannst du mich nicht abbringen. Es ist der Fluch der Sinclairs. Wir müssen für das büßen, was unsere Vorfahren anderen angetan haben. Sie waren sicherlich nicht alle Engel.«
»Aber Menschen, Vater. Mit allen positiven und negativen Eigenschaften.«
»Stimmt, das hat sich nie geändert. Die Leute waren schon immer so. Aber sie sind nicht von einem Schatten begleitet worden, gegen den ich mich nicht wehren konnte.« Er winkte mich näher heran, während er seine Stimme senkte. Als ich mich vorgebeugt hatte, flüsterte er: »Ich habe auch Angst um deine Mutter. Sie ist zwar keine direkte Sinclair, aber sie trägt den Namen, und da kann es sein, daß der Fluch aus der Vergangenheit auch sie erwischt.«
»Bis jetzt ist sie mit dem Leben davongekommen. Ich bin eher der Ansicht, daß es mich treffen wird.«
»Ja, das ist möglich.« Horace F. Sinclair schaute zur Decke. Er wollte mir einfach bei seinen nächsten Worten nicht ins Gesicht blicken. »Kannst du dir vorstellen, Junge, wie ich mich gefühlt habe, als mir klar wurde, daß ich deine Mutter hatte umbringen wollen?« Er zeigte mir seine leicht gekrümmten Hände. »Damit, John, damit habe ich sie töten wollen. Das ist Wahnsinn, das ist verrückt, das ist einfach unglaublich! Ich leide darunter, ich muß immer wieder daran denken.«
»Das kann ich mir gut vorstellen, Vater. Ich weiß, wie es ist, wenn eine andere Macht stärker ist und einen Menschen manipuliert. Ich weiß das alles.«
»Aber du hast es immer wieder geschafft, denke ich mal.«
»Ja.«
Er tätschelte meinen Arm. »In deiner Situation hast du schon so etwas wie ein Gewohnheitsrecht. Ich muß damit erst zurechtkommen.« Er lachte bitter. »Weißt du, John, ich hätte nie gedacht, daß mich in meinem Alter der Fluch noch einholt.«
»Fluch?«
»Ja, ich wiederhole mich. Es ist der Fluch der Sinclairs, Junge. Davon kannst du mich nicht abbringen.« Er nickte wie jemand, der sich zu einer Tat entschlossen hatte, was bei ihm auch der Fall war.
»So, und jetzt mach deinem alten Vater mal Platz. Ich werde aufstehen, mich duschen und anschließend etwas essen.«
»Einverstanden.« Ich stand auf und stellte den Stuhl wieder dorthin, wo ich ihn hergeholt hatte.
»Ach ja, noch etwas, John.« Er saß schon auf der Bettkante. Mit leiser Stimme fragte er: »Was hat eigentlich deiner Mutter zu all den schrecklichen Dingen gesagt. Wie hält sie sich?«
»Tapfer, Dad, sehr tapfer.«
Er lächelte, und plötzlich strahlten seine Augen. »Tja, es gibt nicht nur den Fluch der Sinclairs. Manchmal sind wir auch zu etwas nütze und vor allem nicht so leicht unterzukriegen.«
Ich spreizte einen Daumen ab und stemmte ihn nach oben. »Das meine ich auch, Vater.«
Dann verließ ich das Zimmer. Froh darüber, daß mein alter Herr nicht aufgegeben hatte. Er hatte sich sehr darüber gefreut, mich bei sich zu wissen. Er würde den Kampf aufnehmen, das stand fest, und ich würde ebenfalls alles tun, um das Rätsel zu
Weitere Kostenlose Bücher