0914 - Der Fluch der Sinclairs
hatte nicht nur einfach von einem Schatten gesprochen, sondern von einem Umriß, der eine bestimmte Gestalt angenommen hatte.
Der Schatten war zu einem menschlichen Umriß geworden. Hier auf der schmalen Straße, genau vor ihm, geschah das gleiche. Auch dieser Schatten nahm den Umriß eines Menschen ein.
Was das bedeutete, darüber brauchte der Mann nicht lange zu rätseln, das war ihm klar. Da hatte er genug gehört, denn der Schatten war letztendlich zu einer mörderischen Bedrohung geworden. Er hatte Horace F. Sinclairs Seele verändert, er hatte sich hineingefressen, sie möglicherweise sogar ausgetauscht, was sich letztendlich auch auf sein Gehirn ausgewirkt hatte.
Vor ihm auf der Straße nahm der Schatten die Gestalt eines Menschen an. Er bekam zwar keinen Körper, aber er war vorhanden, und der Mensch war einfach nicht zu übersehen.
McDuff konnte nicht mehr atmen. Alles stockte in ihm. Über seinen Rücken rann es kalt, als hätte jemand einen Eimer mit Eisstücken über ihm ausgegossen.
Er saß da und konnte sich nicht bewegen. Sein Wagen stand allein auf der Straße. Das Wetter hatte die Bewohner zurück in ihre Häuser getrieben. Niemand war mehr unterwegs. Erst recht nicht vom Ort her und auch nicht aus den hinter ihm liegenden Bauten.
McDuff war allein. Er spürte diese Einsamkeit so dicht wie nie zuvor, während der Schatten noch in alle Richtungen wuchs.
Ein Gespenst in der Kutte eines Mönchs oder irgendeines Dieners Schwarzer Magie. Leib und Kopf waren vorhanden, aber kein Gesicht.
McDuff begriff die Welt nicht mehr. Sie war für ihn plötzlich auf den Kopf gestellt worden. Er kam mit nichts mehr zurecht. Er steckte in einer Schlinge, die sich immer enger zog. Er fürchtete sich auch davor, seinen Wagen zu verlassen und unternahm einen letzten Versuch. Mit den Fingern umklammerte er den Zündschlüssel, drehte ihn herum, wartete darauf, daß der Motor ansprang, doch das war nicht möglich.
Er blieb stumm. Nicht mal der Anlasser gab noch einen Ton von sich.
Die Falle war zu geschnappt.
Er konnte plötzlich begreifen, wie es Horace F. Sinclair ergangen war. So wie er jetzt, so mußte sich der Mann beim Anblick des Schattens gefühlt haben. Er richtete sich noch höher vor dem Fahrzeug auf, als wollte er dem Fahrer seine wahre Größe demonstrieren. Bisher hatte er seinen Platz nicht verlassen, was sich nun änderte, denn mit einer geschmeidigen Bewegung schwang er sich nach rechts, um auf die Fahrerseite zuzuhuschen.
McDuff hörte kein Geräusch. Alles lief in einer bedrückenden Stille ab. Wie schleichendes Gift näherte sich ihm das Verhängnis. Er wußte, daß er dem Schatten nicht mehr entwischen konnte, aber er versuchte es trotzdem.
Da war der Funke an Überlebenswille, der durch seinen Kopf jagte und die Starre vertrieben hatte.
Mit einer geschmeidigen Bewegung warf er sich zur Beifahrerseite, und hatte dabei vergessen, sich loszuschnallen. Der Gurt hielt ihn fest.
McDuff fluchte!
Aber er gab nicht auf. Er löste den Gut, erreichte auch den inneren Türhebel, wollte ihn öffnen, aber die Tür war verschlossen. »Scheiße!« schrie der Mann, versuchte es erneut, zerrte daran und setzte all seine Kraft ein. Beinahe hätte er den Hebel noch abgerissen, so wütend war er, aber es hatte keine Sinn.
Der Schatten war schneller, und er hatte alle Voraussetzungen, um zu gewinnen.
Er riß die Tür auf.
Kalter Wind fuhr in das Fahrerhaus. Der Mann hatte das Gefühl, von einem Schlag erwischt zu werden. Er hätte sich am liebsten verkrochen, aber er drehte statt dessen den Kopf und konnte nun mit ansehen, wie sich der Schatten in seinen Wagen hineindrängte, wie er kleiner wurde und plötzlich über ihm war.
McDuff riß den Mund auf. Der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken, denn etwas Kaltes drückte sich in seinen Rachen wie eine aus Eis bestehende Faust.
Er konnte nur mehr röcheln, aber es gelang ihm, die Arme zu heben. Eine schwache Abwehrbewegung, die nichts brachte. Durch die Lücke zwischen den Armen schaute er hindurch und sah den Schatten aus der Nähe.
Der beherrschte alles.
Das wurde McDuff klar, der sich nicht mehr als Mensch fühlte, sondern als ein Teil dieses Schattens. Urplötzlich wurde er kraftlos. Seine Arme sackten weg, der Körper bekam eine ungewöhnliche Schwere. Es war McDuff unmöglich, sitzen zu bleiben. Er hätte sich auch nicht mehr bewegen können, der Schatten war zu stark.
Er beherrschte das Innere. Es gab nichts mehr, was nicht unter seiner Kontrolle
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