0915 - Macht des Schicksals
mir.«
»Aber kaum zu fassen für uns.«
»Für uns nicht, Suko, aber für andere Wesen, die uns weit überlegen sind.«
»Wen meinst du damit?«
Der Templer hob die Schultern. »Ich kann es dir beim besten Willen nicht sagen, ich kann nur darauf vertrauen, daß uns der Würfel das Tor noch einmal öffnet. In ihm steckt der Schlüssel, um das Vergangene zurückzuholen. Er kann den geheimnisvollen Speicher öffnen, und ich hoffe, daß wir es dann packen.«
»Du bist ein Optimist.«
Bloch nickte. Auf seinem faltigen Gesicht erschien ein Lächeln. »Ja, das bin ich, und es tut mir gut, wieder optimistisch zu sein. Ich habe selbst in der Zeit meiner Blindheit den Optimismus nicht verloren. Und haben mir nicht die Kräfte des Reiches Avalon meine Sehfähigkeit wieder zurückgegeben? Auch Avalon ist ein Stück geheimnisumwitterter Vergangenheit, in der wir uns zurechtgefunden haben.«
»Das kann ich bestätigen.«
»Eben.« Der Templer schritt wieder auf die Kapelle zu, die im sich allmählich verändernden Licht der Sonne ein farblich anderes Aussehen bekommen hatte.
Da der Himmelskörper nicht mehr so hoch stand, warf das Gemäuer längere Schatten.
Suko und der Abbé waren auch weiterhin allein geblieben. Kein anderer Mensch war auf die Idee gekommen, der Kapelle einen Besuch abzustatten, und es war gut, daß man sie nicht störte.
Die Mauern lagen im roten Licht der Abendsonne. Sie schoben sich auch durch die Lücken in das Innere der Kapelle hinein, wo sie den Staub in ihren Strahlen funkeln ließen und die in den Ecken lauernden Schatten vertrieben.
Bloch fühlte sich in der Kapelle wohler als draußen, was er Suko auch sagte.
»Warum ist das so?«
Der Abbé hob die Schultern. »Genau kann ich es dir nicht sagen. Es mag an dieser frühabendlichen Atmosphäre liegen, die so ganz anders ist als die am Morgen. Sie kommt mir geheimnisvoller vor, weil auch das Licht sich verändert hat. Es weiß, daß es Abschied nehmen muß, um erst am anderen Tag wieder zu erwachen. Aber es kämpft immer wieder gegen den Einbruch der Dunkelheit an, als wollte es durch verschiedene Farbtöne noch einmal auf sich aufmerksam sein.« Er streckte den Arm aus und bewegte ihn. »Schau dich um, Suko, sieh überall hin. Beobachte die Mauern, die Reste, die Steine, halte das Licht unter Kontrolle, und du wirst erkennen, was ich damit meine. Dies ist eine Atmosphäre zwischen Tag und Traum. Da mischt sich die Gegenwart mit der Zukunft. Die eine nimmt Abschied, die andere kommt herbei, wobei ich die Nacht meine. Mir ist es, als stünde ich am Schnittpunkt der Zeiten.«
»Hat es seinen Grund, warum du das sagst, oder redest du nur so dahin?«
»Nein, Suko, das wäre einfach zu billig. Es gibt schon einen Grund, den ich spüre.«
»Ich leider nicht.«
»Das muß auch nicht sein, Suko, aber ich merke, daß sich etwas ganz in unserer Nähe abspielt, an das wir leider durch den Zeitvorhang nicht herankommen. Ich hoffe aber, daß ich ihn wieder öffnen kann.« Er griff in die Tasche und holte den Würfel des Heils hervor, was Suko skeptisch beobachtete. »Wird er die Lücke reißen?«
Bloch nickte. »Ich bin davon überzeugt, sonst hätte mich nicht der Drang überfallen, ihn aus der Tasche zu befreien. Es geht weiter, es muß weitergehen, es ist weitergegangen, auch wenn wir es noch nicht mit unseren eigenen Augen sehen.«
»Gut, dann lasse ich dich in Ruhe.«
»Danke.« Der Abbé schaute zu, wie sich Suko einen schattigen Platz im Hintergrund suchte und sich dort auf einem Stein niederließ, der aus der Mauer gebrochen war. Er blieb dort bewegungslos sitzen, weil er die Regeln genau kannte. Auch er wollte, wenn er einer bestimmten Aufgabe nachging, nicht gestört werden.
Der Abbé setzte sich dorthin, wo durch ein ehemaliges Fenster rotes Abendlicht in die Kapelle hineinfiel. Ihm gefiel es in dieser Lichtinsel.
Suko saß ihm gegenüber. Jede Bewegung des Templers konnte er beobachten.
Bloch legte den Würfel wieder auf seine Hand. Suko wußte, daß er den Mann in den folgenden Sekunden nicht ansprechen durfte. Der Abbé hatte mit sich selbst genug zu tun. Er würde in eine tiefe Konzentration hineinsinken. Wie jemand, der versuchte, durch geistige Kraft die Grenzen zwischen den Zeiten aufzureißen, und dabei würde ihm der Würfel als Katalysator eine große Hilfe sein.
Der Blick des Abbés war starr auf den Würfel gerichtet. Bloch hatte gespürt, daß die Zeit reif war.
Er wurde einfach das Gefühl nicht los, vor einer
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