0918 - Auf der Schwelle der Zeit
genug von dem Gerangel. Mit dem linken Fuß trat sie Dylan gegen das Schienbein. Sie hatte keine Schuhe an und ihre Zehen brachen mit dem Geräusch aufschnappender Grillwürstchen. Allerdings zeigte ihr Gesicht kein Anzeichen von Schmerz.
Im Gegensatz zu dem von Dylan. Sein Bein schien in Flammen aufzugehen, Wellen der Pein jagten erst durch den Unterschenkel, dann durch den ganzen Körper.
Das getroffene Bein knickte unter ihm weg. In einem Reflex versuchte er, das Gewicht auf die andere Seite zu verlagern. Doch der Badezimmerteppich, auf dem er stand, rutschte weg und Dylan ging zu Boden. Es gelang ihm noch, einen Arm aus Ankas Griff zu befreien. Mit ihm wollte er sich irgendwo festhalten, erwischte aber nur ein Handtuch neben dem Waschbecken und riss es mit sich.
Anka ließ auch seinen anderen Arm los. Stattdessen packte nun Dylan ihr Handgelenk. Ihr Mund öffnete sich zu einem überraschten Schrei, doch bevor sie ihn ausstoßen konnte, zerrte Dylan sie mit nach unten.
Im Bewusstsein des Schotten übernahm der Überlebensinstinkt die Kontrolle und drängte die Blutgier in den Hintergrund.
Gerade hatte er nur Glück gehabt. Aber in einem normalen Kampf war sie ihm überlegen! Also durfte er es nicht zu einem normalen Kampf kommen lassen.
Irgendwie hatte Anka sich im Fallen gedreht und lag mit dem Rücken halb auf Dylan. Noch bevor sie sich aufrappeln konnte, schlang der ihr das Handtuch einmal um den Hals und zog zu. Mit aller Kraft!
Auch wenn das im Augenblick nicht viel war, reichte es doch aus. Anka fuchtelte eine Zeit lang mit den Armen, trat mit den Beinen, da Dylan aber in ihrem Rücken war, fand sie keinen Angriffspunkt. Nach etwa einer Minute, die Dylan vorkam wie ein ganzes Leben, verebbten ihre Bewegungen.
Unter ständigem Keuchen und Stöhnen rollte er Ankas Leiche von sich herunter und zog sich am Waschbecken hoch. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er dabei die Candy-Körperlotion von der Ablage, doch dann stand er endlich. Auf zittrigen Beinen zwar, aber besser als nichts.
Er starrte in den Spiegel und musterte sich selbst. Er sah aus, als hätte er seit Wochen nicht mehr geschlafen. In den Ringen unter seinen Augen hätten Amseln ihre Nester bauen können, so tief…
Halt! Er hatte ein Spiegelbild? War das vorhin nicht verschwunden?
Nun schaltete sich sein Verstand wieder ein. Natürlich hatte er ein Spiegelbild! Er hatte immer eines gehabt. Wenn er etwas anderes gesehen hatte, musste das Einbildung gewesen sein.
Er keuchte! Wenn das Einbildung war, dann vielleicht auch das Blut auf Ankas Körper? Hatte sie sich nur die Hände gewaschen, als er hier hereingestürmt kam? Hatte sie ihm gar nichts antun wollen?
Oh, mein Gott!
Er torkelte einen Schritt zurück und starrte auf den Körper auf dem Boden.
Was auch immer er sich eingebildet hatte, eines war bittere Realität: Er hatte Anka erwürgt!
***
159 n. Chr.
Noch einmal öffnete Zamorra den Mund zu einem letzten Schrei.
»Was zum Teufel gesch…«
Dann riss ihn der Sog aus dieser Welt und hinein in eine andere.
»…ieht hier?«, vollendete er seinen Satz mit einem wilden Brüllen.
Plötzlich fühlte er wieder Boden unter den Füßen. Eigentlich hätte ihn der Schwung des Luftflirrens sonst wohin schleudern müssen, stattdessen stand er plötzlich fest und aufrecht da. Ja, er taumelte nicht einmal!
Der Meister des Übersinnlichen wischte sich Blut und Dreck aus den Augen und erfasste die Situation nur einen Wimpernschlag später: Er war nicht in einer anderen Welt. Er war nicht einmal an einem anderen Ort. Um sich herum sah er noch immer den Friedhof der Llewellyns, auch wenn die Vegetation dichter und ungezügelter war, als er sie kannte. Außerdem fehlten sämtliche Grabsteine bis auf den Monolithen.
Er war in einer anderen Zeit!
Genauer gesagt in der Zeit, die Rhett ihm geschildert hatte. Und das hieß…
Merde!
Das hieß, dass Logan gleich einen Blitz nach ihm schleudern würde.
Da erst sah Zamorra den alten Mann, um dessen Hand eine winzige Gewitterwolke tanzte.
»Tu das nicht!« In einer sinnlosen Abwehrgeste hob Zamorra die Arme.
Instinktiv machte er einen Schritt zurück, doch da war der Abhang!
Er fühlte, wie er auf einen Stein trat. Plötzlich aber bewegte sich der Stein und wurde Zamorra unter dem Fuß weggerissen. Er ruderte einmal kurz mit den Armen und verlor trotzdem das Gleichgewicht. Da gab der Boden unter Zamorra nach. Er bemerkte noch die Hitze des Blitzes, der über ihn hinwegschoss, dann purzelte
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