0918 - Auf der Schwelle der Zeit
Monaten
Er hatte sie umgebracht! Er hatte Anka tatsächlich umgebracht!
Mörder! Mörder! Mörder!
Dylan musste sich am Waschbecken festklammern, um nicht wegzukippen. Immer wieder hämmerte ihm dieses eine Wort durch den Kopf.
Mörder!
Er ließ den Beckenrand los und taumelte aus dem Badezimmer. Die Polizei! Er musste die Polizei rufen!
Die dich dann für lange Zeit wegsperrt, du Mörder!
Ja, das würde wohl geschehen, aber er hatte es nicht anders verdient. Er musste für seine Tat geradestehen!
Wie in Trance schlurfte er durch den Flur und hinein ins Wohnzimmer. Das Telefon stand auf einem runden Tischchen gleich zwischen Terrassentür und Sofa.
Nach zwei Schritten blieb er stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Auf dem Sofa saß Anka und las ein Buch!
»Das ist… das darf… kann nicht sein!«
Sie schaute auf und lächelte ihn an. »Was ist denn? Ach, du meine Güte. Wie siehst du denn aus?«
»Aber ich hab dich gerade… du bist doch… du kannst doch nicht hier…«
Dann gaben seine Beine unter ihm nach und er sank in sich zusammen.
Wieder empfing ihn weißes Rauschen. Er hatte das Gefühl zu schweben, zu fliegen, weg, ganz weit weg. Die Schmerzen kamen zurück. Im Kopf, den Zähnen, am Hals, überall. Der Mann mit dem bleichen Gesicht ... ... erheißtmatlock ... ... hob ihn hoch und trug ihn davon. Weg, weg, weg aus diesem Leben. Hinein in einen Tunnel, in die Finsternis.
Ein Licht! Dort im Tunnel, ganz weit hinten. Es war noch dunkler als die Finsternis.
Schwerelos. Er schwebte, flog. Auf das dunkle Licht zu. Wenn er es erreichte, hätte er es geschafft. Weiter. Immer weiter, schwob, flegte er.
Patsch!
Ein neuer Schmerz. Im Gesicht.
»Dylan!«
Eine Stimme? Hier im Tunnel? Er drehte sich um.
»Dylan, komm zu dir!«
Patsch!
Er hörte auf zu Schwebfliegen. Umkehren. Musste umkehren. Aber das Licht wartete auf ihn!
Die Stimme lockte, so süß, so samten.
»Wach endlich auf, verdammt noch mal!«
So verführerisch.
Er schwebte auf das dunkle Licht, verharrte, flog auf die süße Stimme zu.
Patsch!
Er riss die Augen auf und hielt sich die Wange. »Aua! Sag mal, spinnst du?«
Dylan lag wieder auf seinem Bett. Neben ihm auf einem Stuhl saß Anka, die ihm gerade die vierte Ohrfeige verpassen wollte. Sie ließ die Hand sinken und seufzte.
»Du glaubst nicht, was für einen widerlichen Traum ich hatte! Von dir. Ich hab dich im Bad gesehen und… und… Was ist denn passiert?«
Anka presste für einige Momente die Lippen zusammen. »Du bist aufgewacht. Ich nehme an, du wolltest zur Toilette, aber auf dem Weg dorthin bist du zusammengebrochen. Du warst fast eine Stunde besinnungslos.«
»Jetzt fühle ich mich wieder fit! Ich hab einen Bärenhunger.« Wie um diese Aussage zu bestätigen, ließ sein Magen ein lautes Grollen vernehmen. »Ein Steak von der Größe Schottlands wäre jetzt genau das Richtige. Schön blutig und…«
Blutig? So wie Anka, als du sie im Bad gesehen hast? Als du sie ablecken und die Zähne in ihren jungen Körper schlagen wolltest? So blutig?
Dylan verzog das Gesicht. »Vielleicht doch lieber Salat!«
Das Mädchen musterte ihn wortlos mit traurigen Augen.
»Müsli?« Er grinste Anka an.
Sie seufzte. »Hör auf mit dem Quatsch. Du hast ein Problem! Und zwar ein wirklich großes!«
»Okay, sag's mir.«
»Dich hat ein Vampir gebissen, auch wenn du es nicht glauben willst.« Sie nagte einen Augenblick auf ihrer Unterlippe herum. »Ich hatte gehofft, es wäre nur ein kleiner, nicht allzu mächtiger Blutsauger gewesen. Dann hätte ich mit meinen Bannzeichen den Keim vielleicht unwirksam machen können.«
Unbewusst wischte Dylan sich über die Stirn. Er schwieg und sah sie an.
»Ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Er war zumindest mächtig genug, dass sich mein Zauber die Zähne an dem Keim ausbeißt.«
Der Schotte lachte freudlos auf, als er den missglückten Vergleich hörte.
»Dein Körper wehrt sich dagegen«, fuhr sie fort. »Länger und stärker, als ich erwartet habe.«
»Das ist gut!«
»Aber er verliert! Dass es dir jetzt besser geht, ist nur ein letztes Aufbäumen.«
»Das ist nicht gut.«
»Kannst du nicht mal ernst bleiben?«
Dylan leckte sich über die Eckzähne. Waren sie tatsächlich schon etwas länger? »Ich bin ernst. Aber was soll ich denn machen?«
Anka setzte sich aufrecht hin. »Heißt das etwa, dass du mir glaubst?«
»Es fällt mir immer noch schwer, aber ja, ich glaube dir. Weißt du, ich war in meinem ganzen Leben noch
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