0918 - Auf der Schwelle der Zeit
Leben einen Auserwählten zur Quelle des Lebens zu führen und ihm so die Unsterblichkeit zu schenken! Und weil er deshalb ein Ziel für die Mächte des Bösen war.
War es das wirklich wert? Waren 238 Jahre dauerhaften Schmerzes nicht ein zu hoher Preis für die Erschaffung eines einzigen Unsterblichen? Und was war mit zukünftigen Leben? Wollte das Schicksal ihm wirklich zumuten, auch in ihnen eine ähnlich unerträgliche Existenz führen zu müssen?
Nein, das wollte er nicht mit sich machen lassen.
Es musste wohl etwa um den hundertsten Geburtstag gewesen sein, als Logan beschloss, die Erbfolge auslaufen zu lassen. Ein über 30.000 Jahre währendes Leben war genug. Mehr als genug!
Er nahm sich vor, nie wieder bei einer Frau zu liegen. Seit Selverne hatte er das sowieso schon nicht mehr getan und so sollte es auch für den Rest seines jämmerlichen Daseins bleiben. So konnte er keinen Sohn zeugen, in dem er wiedergeboren werden könnte - und das ganze Elend hätte endlich ein Ende!
Doch er hatte die Erbfolgemagie unterschätzt. Vor einem Dreivierteljahr war ein so starker Drang über ihn gekommen, dass er sich trotz aller Vorsätze nicht dagegen hatte wehren können. Ohne Herr seiner Handlungen zu sein, hatte er sich aufgemacht und war in die Herberge des Dorfes gegangen. Heute war er froh, dass er dort eine Frau angetroffen hatte, deren Annäherungsversuche er über Jahre hinweg ignoriert hatte, und die nun hellauf begeistert war, doch noch erhört zu werden. Wäre sie an diesem Abend nicht in der Herberge gewesen, Logan hätte vermutlich sogar ein Mädchen mit Gewalt genommen, nur um diesen unseligen Drang zu stillen.
Alles in ihm hatte geschrien. Er wollte kein Kind mit dieser Frau zeugen und konnte doch nichts dagegen unternehmen. In seinen trieb- und magiegesteuerten Körper gesperrt, beobachtete er sich selbst bei dem widerwärtigen Akt. Einem Außenstehenden mochte das unbegreiflich erscheinen, aber er kam sich benutzt vor. Und vergewaltigt. Geschändet von einer Magie, die er nicht kontrollieren konnte.
Wie sehr er sich schämte, wenn er heute daran dachte!
Sein Widerstand gegen die Erbfolge war dadurch aber noch nicht gebrochen. Als er erfuhr, dass die Llewellyn-Magie tatsächlich dafür gesorgt hatte, dass die Frau - er weigerte sich von ihr mit einem Namen zu denken! - schwanger war, trat er aus seinem Haus und schüttelte mit Blick nach oben die geballte Faust über seinem Kopf. Er drohte damit niemand Bestimmtem, sondern wollte nur seinen Zorn loswerden.
»Ich verweigere mich!«
Ein Bauer, der gerade einen Karren mit frischem Gemüse Richtung Dorfzentrum zog, blieb mit erschrockenem Gesichtsausdruck stehen, als Logan losplärrte.
»Ich verweigere mich der Erbfolge! Ich werde keinen Auserwählten zur Quelle führen! Niemals! Ich bin fertig mit der Erbfolge!«
»Aber sie ist nicht fertig mit dir!«
Logan zuckte herum. Vor ihm stand ein Mann mit einem langen, weißen Bart. Trotz seines augenscheinlichen Alters wirkten die Augen jung. Er trug eine weiße kapuzenlose Kutte mit einem breiten Gürtel, in dem eine goldene Sichel steckte. Selbst die Vögel verstummten, als wollten sie lauschen und nur kein Wort verpassen. Der Bauer hingegen machte sich mit seinem Karren wieder auf den Weg.
»Merlin!« War Logans Stimme gerade noch ein tosender Sturm gewesen, war sie nun nicht mehr als ein laues Lüftchen.
»Ich freue mich, dass du mich erkennst.«
Merlin war kein regelmäßiger Besucher, manchmal ließ er sich ein oder mehrere Leben lang nicht sehen. Andere Inkarnationen des Erbfolgers hatten dafür alle paar Jahre mit ihm zu tun.
Für Logan war dies der erste leibhaftige Kontakt mit dem Zauberer.
»Wie meinst du das, sie ist nicht fertig mit mir?«
Auch Merlin hatte offenbar kein Interesse an einleitenden Worten. »Glaubst du wirklich, du kannst einfach so beschließen, die Erbfolge zu beenden? War dir die Zeugung deines Sohnes keine Lehre?«
»Du weißt davon?«
»Natürlich!«
Logan presste die Zähne aufeinander, dass es knirschte. »Aber ich will nicht mehr! Ich will kein solches Leben wie dieses mehr führen müssen. Es reicht mir!«
Merlin lachte auf, doch es lag keine gute Laune darin. »Was für ein weinerliches, selbstgefälliges Gejammer! Du glaubst, du hast gelitten? Denkst du etwa, du führst Auserwählte zur Quelle des Lebens, weil es eine Laune der Natur war, dir diese Aufgabe zu geben?«
Der Erbfolger antwortete nicht.
»Oh nein, mein Freund! Diese Aufgabe hast du dir
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