0918 - Höllen-Engel
verlassen konnte, und er atmete erst mal tief durch, als er sich wieder an der frischen Luft befand.
Die Haltestelle Farringdon lag relativ weit von seinem Ziel entfernt, aber Dan war es durch sein tägliches Joggen gewohnt, größere Strecken zu laufen, so daß er keine Konditionsschwierigkeiten befürchten mußte. Und er packte es auch. Zwar kam er sich ziemlich verloren vor, aber das machte nichts. Irgendein Gefühl trieb ihn voran. Er war überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein, und er war sicher, daß die anderen gewisse Denkfehler begangen hatten.
Für ihn war der Amokfahrer zwar ein Einzelgänger, aber er glaubte nicht daran, daß diese Tat auf seinem eigenen Mist gewachsen war. Da steckten andere dahinter, eine Gruppe, eine gefährliche Sekte, von der auch Cheryl gesprochen hatte.
Cheryl!
Wenn er an sie dachte, klopfte sein Herz schneller. Die Liebe hatte ihn erwischt wie ein Hammerschlag. Aber nicht nur ihn, auch Cheryl empfand das gleiche, und er konnte sich vorstellen, die Zukunft mit ihr gemeinsam zu verbringen.
Wie hieß es noch so schön? Bis daß der Tod euch scheidet. Vor zwei Wochen hätte er über diesen Spruch nur gegrinst, jetzt aber dachte er anders darüber.
Rasch näherte er sich seinem Ziel und hoffte darauf, daß dieser kleine Ausflug keine unangenehmen Folgen für ihn hatte. Ideal wäre es natürlich gewesen, wenn gerade er die Spur zu dieser Hauptsekte entdeckte. Da würde er dann dastehen wie ein Held, und alles andere war vergessen.
Es war dunkel geworden. Die Straßenlaternen brannten.
Die Skinner Street war eine krumme Straße. Von ihr zweigte eine Gasse ab, die zu einem kleinen Platz führte, wo tagsüber Kinder auf Geräten herumkletterten, der jetzt aber verlassen war. Die Geräte standen im Sand, der in der Finsternis wie ein geheimnisvoller See schimmerte.
Den kleinen Spielplatz brauchte er nicht zu überqueren. An seiner linken Seite mußte sich das Haus befinden, in dem der Amokfahrer seine Wohnung gemietet hatte.
Es war ein alter Bau. Mochte die Fassade auch aus rötlichen Ziegelsteinen bestehen, bei diesen Lichtverhältnissen wirkte sie wie ein grauer Schatten, der sich hoch bis zum Dach zog und erst dort vom dunklen Himmel verschluckt wurde.
Dan Walcott ging methodisch vor. Er suchte nach einem Klingelbrett. Vergeblich. Man hatte es abgerissen. Der helle Fleck stammte möglicherweise daher.
Walcott drückte gegen die Tür.
Verschlossen war sie nicht, und sie wich über den Boden schleifend nach innen, einem Loch entgegen, das den Namen Hausflur kaum verdiente.
Zur Ausrüstung eines Polizisten gehörte auch eine handliche Taschenlampe, und die trat jetzt bei Dan Walcott in Aktion. Sein noch jugendlich wirkendes Gesicht war angespannt. Das blonde Haar klebte verschwitzt auf dem Kopf. Der Mund war angespannt, in die Breite gezogen und zeigte ein kantiges Grinsen, als wüßte der Mann genau, was in den folgenden Minuten auf ihn zukam.
Dan Walcott war schon öfter in fremde Häuser gegangen und hatte für sie deshalb auch so etwas wie ein Feeling bekommen. Er konnte immerhin etwa sagen, was mit dem Haus los war. Ob es bewohnt war und welcher Art und Klasse die Bewohner angehörten. Hier empfand er nur Leere, und er ging davon aus, als er von der Treppe stehenblieb, daß dieses Haus leer und unbewohnt war.
Er leuchtete die Stufen hoch.
Sie hätten staubig sein müssen, was sie auch waren, dennoch waren Fußspuren zu erkennen. Demnach war jemand erst vor kurzem die Treppe hinaufgegangen.
Dans Hoffnung stieg wieder. Zudem ging er davon aus, daß sich gewisse Gruppen und Sekten immer Verstecke suchten, in denen sie unter sich sein konnten und nicht so schnell entdeckt wurden.
So ein leeres Haus kam ihnen da schon entgegen.
Dan Walcott stieg die Treppe hoch. Er bewegte sich so leise wie möglich, leuchtete sich zudem den Weg frei und ließ den blaßbleichen Strahl nicht nur über die Stufen wandern, sondern auch an den Wänden entlang. Sie waren total verschmutzt.
Das Geländer an der linken Seite sah ebenfalls nicht gerade neu aus. Es zeigte sich ziemlich brüchig. Auf dem Handlauf lag kein Lack mehr. Splitter stachen in die Höhe, man hatte das Holz hin und wieder mit Werkzeugen traktiert.
Geräuschlos konnte Walcott nicht hochsteigen. Das Holz ächzte unter ihm, und es gab Geräusche ab, die sich in der Stille noch schlimmer anhörten als am Tag.
Dan ließ sich nicht beirren. Er suchte den Weg nach oben. Er wollte in die Wohnung des Mannes, der als
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