0918 - Höllen-Engel
ist jeder ein Einzelkämpfer. Sie ist schon ein Spiegelbild des Lebens. Und wenn mal jemand erscheint und eine Perspektive offenlegt, dann hat er zumeist leichtes Spiel, wie eben bei mir.«
»Die Göttin wird sich freuen.«
Cheryl hob die Schultern. Eine Unterhaltung war schlecht möglich, denn wir hatten die Fabrik betreten und erlebten den Höllenlärm nun aus der Nähe.
Nahe des Eingangs blieben wir stehen. Der Boden war schmutzig, er bestand aus unterschiedlich hoch verlegten Platten oder Steinen, so daß für Stolperfallen gesorgt war. Eintritt brauchte nicht bezahlt zu werden, dafür waren die Getränkepreise gesalzen.
Für mich war die Bude voll. Aber wenn Cheryl sagte, daß am Wochenende wesentlich mehr los war, dann mußte ich ihr schon glauben. Ich richtete meinen Blick zuerst zur Decke, wo die sich drehenden, bunten Lichtkugeln und Scheinwerfer befestigt waren und für ein permanentes Lichtgewitter sorgten.
Die Lautsprecher sah ich nicht. Mir reichte das Gedröhn schon so, da wollte ich nicht erst nach der Quelle suchen.
Links gab es einen Getränkestand. Dort konnte man sich eindecken. Man kaufte die Dosen, nahm sie mit auf die Tanzfläche und gab sich dem Sound hin.
Und wie man das tat.
Junge Leute, ob Männlein oder Weiblein bewegten sich drehend und zuckend sowie hüpfend zu einer Musik, die den älteren Leuten mehr als fremd vorkam. Für, die jüngeren gehörte es zum Lebensgefühl, total verschwitzt bei gewaltiger Lärmkulisse die Nacht durchzutanzen.
Als mich Cheryl ansprach, mußte sie ihre Lippen dicht an mein Ohr bringen. »Sollen wir durch die Fabrik gehen und nach irgendwelchen Typen Ausschau halten?«
»Später.«
»Was willst du dann?«
»Mal an den Verkaufsstand gehen und mir dort etwas zu trinken holen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Diener des Höllen-Engels hier wie die Wilden abrocken.«
»Bisher habe ich noch keinen gesehen.«
»Hoffentlich ändert sich das!« schrie ich.
Sie hob die Schultern und führte uns dorthin, wo die Getränke gekauft werden konnten und auch der D. J. nicht weit entfernt vor seiner Anlage hockte.
Er war selbst in Trance verfallen, hielt den Kopf nach vorn gesenkt und zuckte im Rhythmus der Klänge. Er trug eine Mütze auf dem Kopf, mit dem Schirm nach hinten, und er bewegte auch die Lippen, wobei er wahrscheinlich selbst nicht verstand, was er sagte.
»Kennst du den Knaben?« rief ich Cheryl zu.
Sie nickte.
»Und?«
»Er gehört dazu!«
Ich hätte beinahe durch die Zähne gepfiffen, aber das hörte hier niemand. »Dann wollen wir ihn uns mal holen.«
Cheryl lachte sehr laut. »Wie willst du das denn schaffen? Du hast alle gegen dich. Wenn du ihn wegholst, werden sie dich wie eine Woge überschwemmen und zertrampeln.«
Das konnte gut möglich sein. Nahm man den Gästen die Musik, war es so, als hätte ich einem Hund einen Knochen weggenommen. »Siehst du denn eine andere Chance?«
»Wir müssen bis zur Pause warten«, erwiderte Cheryl. Sie stand neben mir und wippte leicht mit dem rechten Bein.
»Und dann?«
»Werde ich mit ihm reden.«
Das hört sich nicht schlecht an. »Kennt er dich denn?« wollte ich wissen.
»Ja. Sogar ziemlich gut. Wir haben Glück, daß er hier ist. Er gehört zum inneren Kreis.«
»Und wer noch?«
Cheryl schaute sich um, obwohl sie es schon einige Male getan hatte, aber auch jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als nur die Schultern zu heben. »Ich sehe keine.«
»Vielleicht tanzen sie?«
»Nein, die nicht. Die warten zumeist an der Getränkebar, wo sie ihre Opfer in Ruhe ansprechen können.« Cheryl zog ein nachdenkliches Gesicht. »Es will mir überhaupt nicht gefallen, daß ich außer dem D. J. keinen von ihnen gesehen habe.«
»Was folgerst du daraus?«
Sie hob die Schultern.
»Das sah nicht begeistert aus.«
»Ist es auch nicht.« Sie wies auf die Bar. »Laß uns dorthin gehen und auf die Pause warten. Dann schnappe ich mir den D. J. Ich hoffe, daß er mir vertraut.«
»Warum sollte er nicht?«
»Weil sich gewisse Dinge immer sehr schnell herumsprechen. Es kann sein, daß sie schon über mich Bescheid wissen. Dann müßt ihr mich schützen.«
»Keine Sorge, wir lassen dich nicht aus den Augen.«
Der Weg zur Theke glich einem Kampf. Rücksicht kannte hier niemand. Wer immer sich ein Getränk gekauft hatte, strebte auf dem schnellsten Weg zurück zur Tanzfläche, und dabei nahm er keine Rücksicht auf irgendwelche anderen Gäste, die ihm in die Quere liefen. Der Stärkere hatte recht.
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