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0919 - Die Rache

0919 - Die Rache

Titel: 0919 - Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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nicht. Einen Zugang zu einer Sakristei gab es auch nicht, denn das zweite kleine Gebäude stand räumlich von der Kirche getrennt. Es existierte keine Verbindung.
    Ich drehte mich um und schaute dabei auf Bills Rücken, der schon auf den Ausgang zuging. Neben dem hölzernen Weihwasserbecken wartete er auf mich. »Wir wollten uns jetzt den Friedhof anschauen.«
    »Einverstanden.«
    Der Gesang war verstummt, und uns umgab wieder diese bedrückende Ruhe, allerdings nur hier in der Gegend, denn weiter nördlich, wo die beiden Hochhäuser wie kantige Aufpasser standen, wehte der Verkehrslärm durch die staubige Luft.
    Wir umrundeten die Kirche. Der Boden war auch hier staubig.
    Nur vereinzelte Pflanzen schauten aus ihm hervor, und auch sie sahen aus wie gepudert.
    Wir gingen am Haus des Pfarrers vorbei, das mehr einer Hütte glich, und erreichten das Gelände des Friedhofs an seiner freien Seite. Gegenüber, wo auch die Menschengruppe stand, standen vereinzelt Bäume, deren Laub einen verzweifelten Kampf gegen die Verschmutzung führte.
    In meinem Leben hatte ich schon einige Friedhöfe gesehen. Ich kannte die in den Großstädten, aber auch die in kleinen Orten und winzigen Dörfern. Mit waren alte Friedhöfe nicht neu, die sich auf dem Land befanden und einfach nur so wie ein gruseliges Kunstwerk die Eintönigkeit einer Landschaft aufrissen, aber so einen wie hier hatte ich noch nie gesehen. Es war ein staubiger und schmutziger Flecken Erde, aus dem schlichte Kreuze hervorragten und Blumen sehr schnell eingingen und vergammelten. Dieser Friedhof strahlte etwas aus, das ich sofort spürte, bereits beim ersten Anblick.
    Es war eine gewisse Hoffnungslosigkeit, die über ihm schwebte.
    Hier endete das Leben wirklich so abrupt, und die deprimierende Realität umwehte auch dieses kleine Gräberfeld.
    Normale Wege existierten nicht. Sollte es sie einmal gegeben haben, dann waren sie von einer dicken Staubschicht bedeckt, in der sich Fußabdrücke abzeichneten.
    Wir betraten das Gelände, das von einer Mauer abgeschirmt wurde. Eigentlich sah es aus wie eine Kulisse, die irgendwann in den nächsten Tagen abgebaut werden würde.
    Wir hörten das Weinen der Menschen. Zwei Männer waren dabei, einen Sarg in das Grab gleiten zu lassen. Eine schlichte Holzkiste, womöglich selbst hergestellt.
    Wir gingen nicht zu der Gruppe hin, sondern blieben noch vor den Bäumen stehen. Auf meinen Kopf senkten sich die stechenden Strahlen der Sonne nieder.
    Entdeckt hatte man uns bereits. Hin und wieder waren uns Blicke zugeworfen worden, aber niemand traf Anstalten, die Nähe des Grabes zu verlassen und auf uns zuzugehen.
    Wir sahen auch den Pfarrer, und ich wunderte mich über sein noch relativ junges Alter. Er trug ein violettes Meßgewand und bespritzte den Sarg mit Weihwasser. Sein Gesicht war gebräunt, die Nase stach hart hervor, und seine dunklen Haare hatte er glatt zurückgekämmt. Wir sahen auch das eckige Kinn und konnten uns vorstellen, daß dieser Mann es schaffte, seine Pläne durchzusetzen.
    »Was sagst du?« fragte Bill.
    »Der Mann sieht energisch aus.«
    »Das meine ich auch. Werden wir mit ihm zurechtkommen?«
    »Bestimmt.«
    Wir schwiegen, weil auch die Gruppe der Menschen vor uns nichts mehr sagte. Eine Ausnahme war Oliveiro, der kein Gebet sprach, sondern eine kurze Rede hielt, deren Inhalt uns beide überraschte. Der Mann hielt eine schon politische Rede. Er sprach von der bedrückenden Armut und von der Verantwortung der Politiker und der Reichen, die sich aber um die Armut einen Teufel scherten.
    »Und weil sie das tun, so wird sie bald auch der Teufel holen!« erklärte Oliveiro. »Wir beerdigen hier einen jungen Menschen, der leben wollte, aber den Fehler beging, einem reichen Angeber in seinem Alter im Wege zu sein, was diese Kreatur auf seine unmenschliche Art und Weise löste, denn er fuhr ihn einfach über den Haufen. Er nahm keine Rücksicht auf ihn, er hatte sogar noch seinen Spaß, beging Fahrerflucht und wurde nie vor ein Gericht gestellt. Das ist die Welt, in der wir hier leben, aber das ist auch eine Welt, die es zu ändern gilt, und dafür möchte ich mich einsetzen. Auch wenn die Erfolge nur gering sind, aber wir werden weitermachen, und wir werden weiterkommen, Freunde.«
    Bill und ich schauten uns an. Es war eine ungewöhnliche Grabrede, die wir hier zu hören bekamen, aber großartig wundern mußten wir uns hier nicht, denn hier konnte keiner von uns Maßstäbe ansetzen, wie sie in London üblich waren.

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