0922 - Mein Trip ins Jenseits
nur spekulieren. Gehen Sie einfach davon aus, daß Sie es mit dem normalen Verstand und auch mit der uns eigenen Logik nicht erfassen können.«
Er lächelte. »Das hört sich rätselhaft an, aber ich habe mich mit dem Menschen beschäftigt. Ich bin Neurologe und Psychologe. Die Krankheiten des menschlichen Geistes sind mein Arbeitsfeld, Mr. Sinclair.«
»Das glaube ich Ihnen, Doktor. Bitte, ich zweifle daran auch nicht, aber es gibt trotzdem Gebiete, wo die Wissenschaft nicht mehr weiterkommt und manchmal einfach glauben muß oder Tatsachen hinnimmt und nicht hinterfragt.«
»Können Sie sich da konkreter ausdrücken?«
»Das möchte ich nicht, aber wir haben es bei dem Entflohenen möglicherweise mit Magie zu tun. Oder einem Mann, der sich darin auskennt, auch mit Welten, die jenseits der unserigen und sichtbaren liegen. Mit anderen Dimensionen also. Die gibt es. - Da haben wir unsere Erfahrungen sammeln können.«
»Dann sind Sie jemand, der häufiger damit zu tun hat?«
»In der Tat. Lapidar gesagt, es ist mein Job, und ich bin nicht grundlos bei Ihnen.«
Er nickte und strich über seine Oberlippe. »Normalerweise hätte ich jetzt mit Ihnen diskutiert, Mr. Sinclair, aber in Anbetracht der Dinge lasse ich es bleiben. Sie sind Polizist, und ich vermute, daß Sie bereits einen Plan haben.«
»Ich hätte gern einen.«
Der Arzt wußte nicht, ob er darüber lachen sollte. »Aber Sie müssen doch etwas unternehmen.«
»Das werde ich auch. Nicht nur ich, sondern auch der Inspektor und Miß Collins. Es gibt da noch eine Spur, gewissermaßen die, mit der alles begonnen hat.«
»Die aber nicht zu mir und zur Klinik führt.«
»Da haben Sie recht.«
»Und welche meinen Sie?« In seinen Augen funkelte das Interesse.
»Es ist die Spur eines Menschen, über den wir überhaupt erst an den Fall herangekommen sind. Dieser Mann heißt Tim Book. Er war klinisch tot und hat in dieser Zeit Dinge erlebt, wie man sie aus den Berichten Zurückgeholter kennt. Auf der oft zitierten Reise zum Licht begegnete ihm allerdings das kalte Grauen. Es hat sogar einen Namen.«
»Nathan?« flüsterte der Arzt.
»Richtig.«
»Der hier einsaß?«
»Ja.«
»Der dann in den Phantasien dieses Tim Book erschien?«
Ich nickte.
Dr. Liebling schüttelte den Kopf. Er hatte die Fragen bewußt sehr langsam und hintereinander gestellt, und aus seinem Mund drang dabei ein tiefes Stöhnen. »Wenn ich jetzt weiter nachfrage, werde ich an meine Grenzen stoßen. Möglicherweise bin ich ein phantasieloser Mensch, Mr. Sinclair, der sich zwar mit den Menschen, deren Seelen und auch deren Abgründen befaßt, aber das war doch zuviel für mich. In meinem Zustand möchte ich auch nicht darüber nachdenken. Ihnen wird es wohl am liebsten sein, wenn ich mir darüber keine Gedanken mache und die Sache vergesse.«
»Das wäre nicht schlecht.«
»Gut, ich bin einverstanden und hoffe nur, daß Sie Nathan einfangen können.« Er schüttelte den Kopf. »Nein«, korrigierte er sich. »Am liebsten wäre es mir, wenn er überhaupt nicht mehr zu mir zurückkehren würde. Sie verstehen schon…«
»Sicher.«
»So sollte ein Arzt nicht sprechen.« Dr. Liebling hob die Schultern. »Aber die Tatsachen haben mich doch tief getroffen und auch irgendwie verändert.«
»Es ist unser Job, Nathan zu finden.«
»Dazu kann ich Ihnen nur alles Gute wünschen.«
»Danke.«
Suko war in den Park gegangen und hatte sich dort umgeschaut. Als er zurückkehrte und für einen Moment in der offenen Eingangstür stehenblieb, wußte ich, daß er keinen Erfolg gehabt hatte. Das sah ich seinem Gesicht an.
Er kam langsam auf uns zu. Dabei hob er die Schultern. »Ich weiß nicht, ob Nathan seine Flucht geplant hat. Wenn nicht, dann hat er sich rasch auf die neuen Möglichkeiten einstellen können. Nichts konnte ihn aufhalten.«
»Hat er den Zaun überwunden?« fragte der Arzt.
»Ja, das hat er.«
»Und danach?«
Suko winkte ab. »Verlor sich seine Spur, John. Du brauchst dir nur das Gelände anzuschauen, dann weißt du Bescheid. Es ist für die Flucht eines einzelnen ideal. Da suchen wir die berühmte Nadel im Heuhaufen, mehr brauche ich nicht zu sagen.«
Ja, er hatte recht, und Dr. Liebling brauchte auch nicht zu befürchten, daß er noch einmal in die Klinik zurückkehrte, um dort seine blutigen Spuren zu hinterlassen. Da ergaben sich für ihn andere Möglichkeiten, denn jetzt lag vor ihm ein weites Feld. Wir mußten damit rechnen, daß er sich neue Opfer holte, um den Tunnel
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