0924 - Das Totenbuch
wollte ich wissen.
»Um die Gespenster.«
»Und weiter?«
»Sagt dir das denn nichts?«
»Nein, ich…«
Das Buch lag auch für Bill griffbereit. Er holte es hoch, legte es auf seine Knie und schlug mit der flachen Hand mehrmals auf den Einband. »Dieses enthält jetzt Texte, das ist uns klar. Es hat aber mal Zeichnungen enthalten. Wir wissen nicht welche, aber ich gehe davon aus, daß es keine Illustrationen für ein Kinderbuch gewesen sind. Ich könnte mir vorstellen, daß die Zeichnungen zu diesem Text paßten. Was würdest du dazu sagen, Geisterjäger?«
»Noch nichts.«
Bill räusperte sich. »Ich meine, daß Sheila die Monstren gesehen hat, die hier auf den leeren Seiten einmal abgebildet waren. Sie haben das Totenbuch verlassen. Sie sind aus den Seiten hervorgestiegen und verstecken sich in einer anderen Welt, der sie, wann immer sie wollen, auch wieder den Rücken kehren können.« Er schaute uns funkelnd an. »Was meint ihr dazu? Kann man das akzeptieren?«
Ich schwieg. Sheila hob nur die Schultern und meinte leise: »Ich halte mich da raus, denn ich weiß zu wenig.«
»Sag du was, John.«
»Es ist möglich, daß du recht hast. Das würde das Verschwinden der Bilder erklären.«
»Zeichnungen, die sich selbständig machen. Lebendige Zeichnungen, die plötzlich mehrdimensional werden können, um Grenzen zu überschreiten. Es hört sich nach einer wilden Spekulation und auch verrückt an. Aber ist es das im Endeffekt auch?«
»Keine Ahnung«, gab ich ehrlich zu. »Aber du solltest damit rechnen, John.«
»Auf jeden Fall. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Wenn ich euch gleich verlasse, nehme ich das Totenbuch mit.«
»Glaubst du, daß die Gefahr damit gebannt ist?« fragte Sheila.
»Damit rechne ich fest.«
»Ich will damit auch nichts zu tun haben. Es ist einfach grauenhaft, und ich bin auch froh, daß du dich da raushältst, Bill.«
»Ich aber nicht.«
»Darf ich mal telefonieren?« fragte ich.
»Nein«, sagte Bill und grinste schief. Ich nahm mir den Apparat trotzdem und wählte die Nummer meines Chefs. »Können Sie Gedanken lesen?« fragte Sir James.
»Hin und wieder, Sir.«
»Ich wollte Sie eben anrufen.«
»Dann haben Sie etwas herausgefunden.«
Der Superintendent blieb vorsichtig. »Es sieht so aus«, sagte er leise. »Wir haben diesen Paul Sibelius tatsächlich in einer unserer elektronischen Karteien gespeichert. Er hat sich keines Verbrechens schuldig gemacht. Es ging damals um die Besitzung einiger Häuser, und er war daran beteiligt.«
»Wann war das denn?«
»Das liegt knapp ein Jahr zurück.«
»Welche Wohnblocks sind damals besetzt worden?«
»Keine Blocks, sondern Lauben. Gartenanlagen, auf denen man Geschäftshäuser errichten wollte.«
»Hat man sie denn gebaut?«
»Nein.«
»Dann sind diese Lauben noch vorhanden?«
»Ich gehe davon aus, John.«
Dir erste helle Streifen tauchte am dunklen Horizont auf. Das Licht am Ende des Tunnels. Diese Nachricht eröffnete mir völlig neue Perspektiven. Ich konnte endlich an einer gewissen Stelle den Hebel ansetzen.
»Sie schweigen, John?«
»Ich überlege dabei«, antwortete ich. »Für die Nachricht darf ich mich bedanken.«
»Gut, dann werde ich Ihnen noch mitteilen, wo Sie die Lauben finden können.«
Ich schrieb mir die Adresse auf und kam dann auf Suko zu sprechen. »Hören Sie, Sir, ich möchte, daß sich Suko dort umschaut, wo ich den Toten gefunden habe. Ich glaube nicht, daß er und Shao in diesem Lokal auffallen werden. Möglicherweise kennt er auch den Besitzer, denn wir wissen ja, daß Suko zahlreiche Cousins hat.«
»Geht in Ordnung, John. Ist bei Ihnen denn etwas geschehen?«
Sir James bekam einen knappen Bericht und zeigte sich sehr zufrieden. Über den Hintergrund dis Falls spekulierten wir am Telefon nicht. Die nächste Aktion war entscheidend, und sie wollten wir abwarten.
Als ich aufgelegt hatte, zeigte mein Gesicht einen Anflug von Optimismus. Auch Bill sah nicht mehr so krank aus. Knirschend brachte er hervor: »Himmel, ich könnte jetzt wieder…«
»Auf keinen Fall.« Sheila hatte ihren Mann nicht ausreden lasen. »Du kannst nur eines: Hier im Bett bleiben und die nötige Ruhe zeigen, wenn du neue Wickel bekommst.«
»Ja, ich weiß.«
Von Bill verabschiedete ich mich, und Sheila brachte mich bis zur Tür. Vor dem Haus empfing uns wieder die Hitze. »Ich hoffe, John, daß du dem Spuk ein Ende bereiten kannst.«
»Und ob.« Ich klopfte dabei auf das Totenbuch, das ich unter dem Arm
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