0928 - Der Fliegenmann
meisten Männer auf den Feldern arbeiteten und erst gegen Abend wieder zurückkehrten. Es waren auch Ferien. Einige Kinder spielten draußen, die ansonsten von einem Bus zur Schule in den Nachbarort gebracht wurden.
Aber auch sie waren nicht laut. Überhaupt schien sich der Ort verändert zu haben, als wollten sich die einzelnen Häuser zusammen mit ihren Bewohnern verstecken.
Jovanka war dies nicht unangenehm, denn sie haßte den Lärm.
Der Weg war nicht lang. Jovanka ging über einen Gehsteig, der sich kaum vom Niveau der Straße abhob. Sie standen nicht dicht an dicht, wie es sich gehört hätte. Zwischen ihnen befanden sich größere Lücken.
Sie war in Gedanken versunken und schreckte auf, als sie angesprochen wurde. »Wieder dein Bier holen, Jovanka?«
Die alte Frau blieb stehen und schaute nach links, in das Gesicht eines älteren Mannes.
»Ja, wie immer.«
Der Mann lächelte zahnlos. Er nickte und schaute dabei in Jovankas Augen. Danach hob er die rechte Hand und tippte mit dem Zeigefinger dicht über der rechten Braue gegen die Stirn.
Für Jovanka sah es so aus, als sollte sie eine Botschaft bekommen.
Sie blieb stehen und schaute den Bewegungen des Mannes zu, der nun seine Haut aufkratzte, den Finger wieder senkte und auf seiner Stirn eine Wunde hinterlassen hatte.
Zwischen den weißlich schimmernden Innenrändern bewegte sich etwas. Dann kroch eine dicke Fliege hervor, die sogar Mühe hatte, ins Freie zu drängen. Sie flog und setzte sich für einen Moment auf Jovankas Nasenspitze, als wollte sie die Frau wie eine Verbündete begrüßen, und verschwand mit einem surrenden Geräusch.
»Hast du es gesehen?« fragte der Mann.
»Ja.«
»Was sagst du?«
Jovanka zögerte noch. Die Sonne stach in ihren Nacken, wo ein feuchter Film lag. Sie wollte in den Schatten, wo es kühler war. »Du auch?« fragte sie den Nachbarn?
»Klar, auch ich.«
Jovanka senkte den Blick. »Wer noch? Weißt du mehr?«
Der Mann hob die mageren Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Die waren in der Nacht bei mir.«
»Ja, das verstehe ich.«
»Vielleicht haben sie alle besucht. Du solltest aufpassen, Jovanka. Es ist wichtig.«
»Für wen?«
»Für uns alle.« Er zog sich wieder zurück und ließ Jovanka stehen, die nicht lange blieb, sondern sich wieder auf den Weg zu ihrem Ziel machte. Viel hatte sich verändert, sehr viel. Jemand war gekommen. Es hatte nicht nur die Angst, er hatte auch die Fliegen gebracht. Sie waren jetzt die eigentlichen Königinnen, und er war ihr Herr.
Jovanka gefiel das. Ihrer Meinung nach sollte es auch so bleiben.
Sie fühlte sich besser als sonst, fast wie nach einer Verjüngungskur.
»Wir werden sehen«, murmelte sie vor sich hin. »Ja, wir werden sehen, wenn die Zeit vergeht. Er ist noch hier, ich spüre ihn, ich weiß es genau.« Sie schaute in die Höhe und ließ ihren Blick über die Dächer gleiten, aber auf den Häusern bewegte sich nichts.
Der Laden waren in einem ebenfalls einstöckigen Haus untergebracht. Die Piceks wohnten oben, die untere Fläche diente als Verkaufsraum. Ihr Lager befand sich in einem Schuppen im Hof, der zu klein war, deshalb standen die Getränkekästen neben dem Haus im Freien.
Wegen der Wärme hatten die Piceks die Tür nicht geschlossen. Jovanka betrat das Geschäft und wunderte sich wie immer über das Kühlregal, das die Piceks auf Kredit bei einem westdeutschen Hersteller gekauft hatten und noch lange nicht abbezahlt war.
Und was dort alles lag. Milch und andere gekühlte Getränke, Butter, Joghurt, Heringe und Käse, ein viel größeres Angebot als früher.
Und es war alles vorrätig, während man früher unter Lieferschwierigkeiten litt oder exzellente Beziehungen brauchte, um anzubieten oder als Kunde kaufen zu können.
Als Jovanka die Tasche absetzte, klirrte das Leergut wieder gegeneinander. Das Geräusch hörte sich laut in der Stille an, und es hatte Signalwirkung für Karel Picek, denn hinter der Theke bewegte sich ein Vorhang.
»Ah, Jovanka«, sagte er. »So ist es richtig. Du willst deine Bierchen holen.« Picek rieb seine Hände. Er war ein kleiner Mann mit einem breiten Kopf und einem ebenso breit wirkenden Gesicht. Das Haar wuchs schütter auf seinem Kopf, war von links nach recht gekämmt worden und roch immer nach Pomade. Kleine Augen, ein breiter Mund, hochstehende Wangenknochen und die kurzen Hände, die aus den Ärmeln des halblangen, weißen Kittels hervorschauten.
»Guten Tag, Karel.«
»Ja, es wird ein warmer Tag
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